Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
Vom Netzwerk:
letzten Einbruch die trichterförmige Vertiefung des klassischen »trockenen« gouffre bildete. Die Jugend und Instabilität der Höhle waren natürlich relativ und mussten im Licht geologischer Zeitmaßstäbe gesehen werden. Die »frischen« Narben an der Decke mochten drei, vielleicht aber auch hundert Jahre alt sein.
    Die Fackel erlosch, und es dauerte eine Zeit lang, bis ihre Augen sich wieder an das matte Licht der Helmlampen gewöhnt hatten. In ihrem trüben Schein hörte Hel Le Cagot feierlich sagen: »Ich taufe dich auf den Namen Le-Cagot-Höhle.«
    An dem Plätschern, das gleich darauf erklang, erkannte Hel jedoch, dass Le Cagot kein geweihtes Wasser an diese Taufe verschwendete. »Wird das denn nicht zu Verwechslungen führen?«, fragte er ihn.
    »Wie meinst du das?«
    »Die erste Höhle trägt doch denselben Namen.«
    »Hm. Stimmt. Nun, dann nenne ich das hier eben Le Cagots Chaos. Wie findest du das?«
    »Gut.«
    »Aber ich habe deine Beteiligung an dieser Entdeckung keineswegs vergessen, Niko. Ich habe beschlossen, den scheußlichen Vorsprung da hinten, um den wir so mühsam herumturnen mussten, Hels Felsnase zu taufen. Wie findest du das?«
    »Mehr kann ich wirklich nicht verlangen.«
    »Richtig. Gehen wir weiter?«
    »Sobald ich fertig bin.« Hel kniete sich mit dem Kompass vor sein Notizbuch und schrieb im Licht seiner Helmlampe die geschätzte Entfernung und Richtung auf, wie er es seit dem Aufbruch aus dem Basislager am Geröllkegel ungefähr alle hundert Meter getan hatte. Nachdem er alles wieder in seinem wasserdichten Rucksack verstaut hatte, sagte er: »Fertig. Gehen wir.«
    Vorsichtig von Felsbrocken zu Felsbrocken kletternd, begannen sie das Chaos zu durchqueren, zwängten sich durch Spalten und Winkel, umgingen behutsam schwere, schrägstehende Felsen, die so hoch wie Scheunen waren. Der Ariadnefaden des unterirdischen Flusses sickerte unsichtbar, tief unter mehreren Schichten von Felsbrocken verborgen, dahin, gabelte sich, floss wieder zusammen und fädelte sich in tausend Strängen über den Schieferboden am Grund der Höhle. Die jüngeren Einbrüche, die nicht der Erosion ausgesetzt waren, die an der Erdoberfläche Scharfkantiges so schnell glatthobelt, hatten einen wahnwitzigen Irrgarten aus riskant im Gleichgewicht liegenden Platten und Blöcken geschaffen, deren unglaubliche Schräglage der Schwerkraft zu spotten schien – das Ganze erzielte den gleichen Effekt wie ein Trickhaus auf dem Jahrmarkt, in dem das Wasser bergauf zu fließen und der Boden, der eben zu sein scheint, sich als gefährlich schräg entpuppt. Das Gleichgewicht musste ausschließlich mit dem Gefühl statt mit dem Auge gewahrt werden, und sie mussten sich nach dem Kompass richten, weil ihr Orientierungssinn auf diesem vielfach gewundenen Pfad durch den schwindelerregenden Wahnsinn des Chaos gelähmt wurde. Die Probleme des Pfadfindens waren jenen, die sich beim Marsch durch eine markierungslose Wüste stellen, genau entgegengesetzt. Es gab eine verwirrende Vielfalt ins Auge fallender Charakteristika, die das Gedächtnis überschwemmten und blockierten. Und die ungeheure schwarze Leere über ihnen lastete drückend auf ihrem Unterbewusstsein, das ohnehin schon die Bürde dieser genarbten, unsichtbaren Gesteinskuppel zu tragen hatte, die herabzustürzen drohte und von der schon der zehntausendste Teil sie wie Ameisen zerquetschen würde.
    Ungefähr zwei Stunden und fünfhundert Meter später hatten sie das Chaos so weit überwunden, dass sie bis ans andere Ende der Höhle sehen konnten, wo sich das Dach herabsenkte, um sich mit dem Gewirr zerklüfteten, jungen Fallgesteins zu vereinen. Während der letzten halben Stunde hatte sich rings um sie her ein Geräusch verstärkt, das so allmählich aus dem Ambiente des Gurgelns und Rauschens tief unten heraufgestiegen war, dass sie es erst richtig wahrnahmen, als sie innehielten, um sich auszuruhen und den zurückgelegten Weg aufzuzeichnen. Die tausend Arme des Flusses unten verflochten sich immer enger, und die Töne, die die Höhle erfüllten, umfassten eine ganze Skala vom hellen Zimbelklang bis zum dröhnenden Bass. Es war ein Wasserfall, ein riesiger Wasserfall irgendwo hinter diesem Zusammenstoß von Dach und Geröll, der den Ausweg aus der Höhle zu blockieren schien.
    Über eine Stunde suchten sie an der Geröllwand entlang, zwängten sich durch Felsspalten und von tonnenschweren Platten gebildete Zelte, fanden aber nirgends einen Durchlass. An diesem Ende des Chaos

Weitere Kostenlose Bücher