Shibumi: Thriller (German Edition)
nicht Divergenz, sondern Angleichung, nicht Primitivismus, sondern Fortschritt ist. Und der neue Held – der Antiheld – macht aus dem Angriff auf die Organisation, aus der Zerstörung des Systems eine Tugend. Jetzt sehen wir ein, dass die Rettung für die Menschheit in der nihilistischen Richtung liegt, aber wie weit entfernt, das wissen wir immer noch nicht.« De Lhandes hielt inne, um Atem zu holen, dann schien er fortfahren zu wollen. Doch unvermittelt traf sich sein Blick mit dem Hels, und er begann zu lachen. »Ach was! Genug davon. Außerdem habe ich eigentlich gar nicht mit dir gesprochen.«
»Das war mir seit einiger Zeit klar.«
»Es ist Tradition in westlichen Tragödien, dass man einem Mann vor seinem Tod eine längere Rede zu halten gestattet. Sobald er in die unerbittliche Maschinerie des Schicksals geraten ist, die ihn zu seinem pathetischen Abgang befördert, kann nichts mehr, was er sagt oder tut, sein Los ändern. Aber es ist ihm gestattet, seinen Fall darzulegen und ausgiebig mit den Göttern zu hadern – und sei es in jambischen Trimetern.«
»Auch wenn er dadurch den Fluss der Erzählung stört?«
»Zum Teufel damit! Für zwei Stunden Narkose gegen die Realität, zwei Stunden der ungefährlichen, da nachempfundenen Beteiligung an der Welt der Taten und des Todes, sollte man bereit sein, den Preis von einigen Minuten der Einsicht zu zahlen. Strukturell perfekt oder nicht. Aber wie du willst. Na schön. Sag mal, erinnern sich die Regierungen noch an den ›Gnom‹? Und suchen sie immer noch den Erdball ab in der Hoffnung, seinen Schlupfwinkel zu finden, und knirschen sie noch vor frustrierter Wut mit den Zähnen?«
»Das tun sie allerdings, Maurice. Erst kürzlich war so ein Amérlo- Schuft bei mir und hat nach dir gefragt. Er hätte seine Genitalien geopfert, um zu erfahren, wie du an deine Informationen kommst.«
»Wirklich? Nun, wenn er ein Amérlo ist, hätte er vermutlich nicht viel riskiert. Was hast du ihm geantwortet?«
»Ich habe ihm alles gesagt, was ich weiß.«
»Und das ist nichts. Gut. Offenheit ist eine Tugend. Weißt du, in Wirklichkeit habe ich gar keine besonders subtilen oder komplizierten Informationsquellen. Nein, die Muttergesellschaft und ich schöpfen aus denselben Daten. Ich habe nämlich Zugang zu Fat Boy, und zwar habe ich mir die Dienste eines der höhergestellten Computersklaven gekauft, eines Mannes namens Llewellyn. Mein Vorteil liegt nur darin, dass ich es besser verstehe als sie, zwei und zwei zusammenzuzählen. Oder, genauer gesagt, ich bin in der Lage, anderthalb und einzweidrittel so zu addieren, dass zehn herauskommt. Ich bin nicht besser informiert als sie; ich bin lediglich gerissener.«
Hel lachte. »Sie würden so ziemlich alles dafür geben, dich zu finden und zum Schweigen zu bringen. Du bist sehr lange der Bambus unter ihren Fingernägeln gewesen.«
»Ha! Das zu wissen verschönt meine letzten Tage, Nikolai. Den Regierungslakaien ein Ärgernis zu sein hat mir das Leben lebenswert gemacht. Und es war ein gefahrvolles Leben. Wenn man mit Informationen handelt, hortet man Waren, die sehr schnell zu Ladenhütern werden. Im Gegensatz zu Cognac werden Informationen billiger, je älter sie sind. Nichts ist langweiliger als die Sünden von gestern. Und manchmal habe ich recht teure Stücke erworben, nur um mitansehen zu müssen, wie sie durch undichte Stellen ruiniert wurden. Ich weiß noch, wie ich einmal ein ganz heißes Ding aus den Vereinigten Staaten gekauft hatte: das, was dann später als Watergate-Skandal bekannt wurde. Und während ich die Ware auf Lager hatte und darauf wartete, dass du oder ein anderer Internationaler sie als Waffe gegen die amerikanische Regierung kaufen würde, spürten ein paar ehrgeizige Reporter die Story auf, erkannten darin eine Chance, ihr Glück zu machen – et voilà. Das Material war über Nacht wertlos für mich geworden. Mit der Zeit verfasste jeder dieser Verbrecher ein Buch oder trat in einer Fernsehsendung auf, wo er seinen Anteil an der Vergewaltigung der amerikanischen Bürgerrechte beschrieb, und jeder wurde von der stupiden amerikanischen Öffentlichkeit reichlich dafür bezahlt, die anscheinend eine merkwürdige Neigung hat, sich die Nase in die eigene Scheiße stoßen zu lassen. Findest du es nicht auch ungerecht, dass ich jetzt mit unbrauchbarer Ware im Wert von mehreren Hunderttausend Dollar dasitze, während sogar der Meisterbösewicht ein Vermögen verdient, indem er im Fernsehen mit diesem
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