Shibumi: Thriller (German Edition)
äußerst gefährliches Unterfangen – uns so einfach in die Arme zu laufen. Man muss dir sehr viel geboten haben, um dich anzuheuern.«
»Im Gegenteil. Für diesen Auftrag werde ich nicht bezahlt.«
»Hm. Darauf hätte ich als zweite Möglichkeit getippt.« Er stieß einen langen Seufzer aus. »Gefühle sind tödlich, Nikolai. Aber das weißt du natürlich. Na schön, ich will dir was sagen. Ich werde meinen Vorgesetzten deine Informationen vorlegen. Wir müssen abwarten, was sie dazu zu sagen haben. Bis dahin werde ich dich wohl irgendwo verstecken müssen. Wie wär’s, hättest du Lust, ein, zwei Tage auf dem Land zu verbringen? Ich führe schnell ein paar Telefonate, damit die Regierungsknaben ihren Denkapparat in Gang setzen, und dann bringe ich dich mit meiner Karre raus.«
MIDDLE BUMLEY
Sir Wilfreds tadellos erhaltener 1931er Rolls knirschte über den Kies einer gewundenen Privatauffahrt und hielt an der porte cochère eines langgestreckten Hauses, dessen Charme hauptsächlich in seinem ästhetischen Wirrwarr lag, hervorgerufen durch das planlose Nebeneinander vieler verschiedener architektonischer Impulse.
Über den Rasen kam ihnen eine sportliche Frau unbestimmbaren Alters in Begleitung zweier junger Mädchen Mitte zwanzig entgegen.
»Ich glaube, du wirst es hier recht amüsant finden, Nikolai«, sagte Sir Wilfred. »Unser Gastgeber ist ein alter Esel, aber er ist nicht anwesend. Die Frau ist ein bisschen überspannt, aber die Töchter sind durchaus gefällig. Sie haben sich in dieser Hinsicht sogar einen gewissen Ruf erworben. Wie findest du das Haus?«
»In Anbetracht eurer britischen Neigung zur Angeberei durch Understatement – so wie du deinen Rolls als alte Karre bezeichnest – wundert es mich, dass du das Haus nicht als siebenunddreißig rauf, sechzehn runter beschrieben hast.«
»Ah, Lady Jessica!«, wandte Sir Wilfred sich an die Dame im rüschenbesetzten Sommerkleid, dessen undefinierbare Farbe sie wahrscheinlich als »Rosenasche« bezeichnet hätte. »Dies ist der Gast, von dem ich Ihnen am Telefon erzählt habe. Nikolai Hel.«
Ihre feuchte Hand drückte die seine. »Freut mich, Sie hier bei uns zu haben. Sie kennenzulernen, meine ich. Das ist Broderick, meine Tochter.«
Hel schüttelte einem übermäßig mageren jungen Mädchen die Hand. Ihre Augen wirkten riesig in dem abgezehrten Gesicht.
»Ein seltsamer Name für ein Mädchen, ich weiß«, fuhr Lady Jessica fort, »aber mein Mann wollte unbedingt einen Jungen – ich meine, er wollte einen Jungen in dem Sinne, dass er einen Sohn zeugen wollte – nicht in dem anderen Sinn –, du meine Güte, was müssen Sie von ihm denken? Aber stattdessen kriegte er Broderick – oder vielmehr, wir kriegten sie.«
»In dem Sinne, dass Sie ihre Eltern waren?« Hel suchte dem hageren Mädchen seine Hand zu entziehen.
»Broderick ist Model«, erklärte die Mutter.
Das hatte Hel sich schon gedacht. Sie trug den leeren Ausdruck, die gewisse Schlaffheit der Haltung und die verkrümmte Wirbelsäule zur Schau, die das aktuelle Modeideal kennzeichneten.
»Nichts Besonderes, wirklich.« Broderick versuchte unter ihrem dick aufgetragenen Make-up zu erröten. »Nur hier und da mal ein Gelegenheitsjob für eine internationale Zeitschrift.«
Die Mutter tätschelte ihr den Arm. »Sag bitte nicht ›Gelegenheitsjob‹, mein Kind. Was soll Mr. Hel nur von dir denken!«
Ein Räuspern ihrer zweiten Tochter veranlasste Lady Jessica zu den Worten: »Ach ja, und das hier ist Melpomene. Es wäre denkbar, dass sie eines Tages zur Bühne geht.«
Melpomene war ein kräftiges Mädchen mit üppigem Busen, stämmigen Knöcheln, dicken Unterarmen, rosigen Wangen und klarem Blick. Ohne Hockeyschläger wirkte sie irgendwie unvollkommen. Ihr Händedruck war fest und energisch. »Nennen Sie mich einfach Pom. Das tun alle.«
»Äh … wenn wir uns jetzt ein bisschen frischmachen dürften?«, schlug Sir Wilfred vor.
»Aber natürlich! Die Mädchen werden Ihnen alles zeigen – ich meine natürlich, wo Ihre Zimmer sind und so. Nein, was müssen Sie von uns denken!«
Als Hel seinen Seesack auspackte, klopfte Sir Wilfred an die Tür und kam herein. »Na, was hältst du von diesem Versteck, Nikolai? Dürfte für ein paar Tage bestimmt ganz gemütlich sein, während die Oberen über das Unvermeidliche nachdenken, eh? Ich habe mit ihnen telefoniert, und sie meinen, sie würden morgen früh zu einem Entschluss kommen.«
»Sag mal, Fred – habt ihr die Septembristen
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