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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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sie von hinten unversehrt wirkte. Die Alten, die Lahmen, die Kinder wurden von Menschen, die in Panik gerieten, zertrampelt. Der Junge, der neben Nikolai stand, ächzte plötzlich und setzte sich auf die Straße. Er war tot; ein Splitter hatte seine Brust durchbohrt. Als das Krachen der Bomben und das Prasseln des einstürzenden Mauerwerks nachließ, stieg durch den verebbenden Lärm aus Tausenden von Kehlen schrilles Geschrei empor. Eine benommene Kundin suchte wimmernd in dem Scherbenhaufen, der kurz zuvor noch eine Vitrine gewesen war. Es war eine bezaubernde junge Frau, nach westlicher »Shanghai«-Mode in ein knöchellanges, bis übers Knie geschlitztes Gewand aus grüner Seide gekleidet, dessen kleiner Stehkragen den schlanken porzellanweißen Hals umrahmte. Ihre Blässe hätte man der Wirkung des Reispuders zuschreiben können, der bei den Töchtern der reichen chinesischen Kaufleute beliebt war, aber sie hatte einen anderen Grund. Die Frau suchte nach der Elfenbeinfigurine, die sie betrachtet hatte, als die Bombe fiel – und nach der Hand, in der sie sie gehalten hatte.
    Nikolai lief davon.
    Eine Viertelstunde später saß er auf einem Schutthaufen in einem ruhigen Viertel, in dem wochenlange Bombardements ganze Reihen von leeren, bröckelnden Hausruinen hinterlassen hatten. Trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper und schnitt in seine Lunge, aber er weinte nicht; keine Tränenspur durchzog den Trümmerstaub, der sein Gesicht bedeckte. In Gedanken wiederholte er immer wieder: »Northrop-Bomber. Amerikanische Bomber!«
    Als die chinesischen Soldaten schließlich vertrieben und ihre Barrikaden niedergerissen waren, flohen Tausende von Zivilisten aus dieser Albtraumstadt mit den ausgebombten Häusern, an deren Innenwänden immer noch das Schachbrettmuster ehemaliger Wohnungen zu sehen war. In den Trümmern: ein zerrissener Kalender mit einem angekreuzten Datum, das verkohlte Foto einer jungen Frau, ein Selbstmordbrief und ein Lotterielos im selben Umschlag.
    Durch eine grausame Ironie des Schicksals war der Bund, Monument des ausländischen Imperialismus, relativ unbeschädigt geblieben. Seine leeren Fensterhöhlen starrten hinaus auf die verwüstete Stadt, die von den taipans erbaut, ausgebeutet und dann verlassen worden war.
    Nikolai gehörte zu der kleinen Schar blau gekleideter Chinesenkinder, die an den Straßenrändern standen, um sich die erste Parade der japanischen Besatzungstruppen anzusehen. Die Berichterstatter der Armee hatten klebriges Zuckerwerk und kleine hinomaru -Fähnchen mit dem Bild der aufgehenden Sonne verteilt, die die Kinder schwenken sollten, damit die Filmkameras den Jubel der Menge festhalten konnten. Ein wichtigtuerischer junger Offizier, der die Veranstaltung leitete, vergrößerte die allgemeine Verwirrung mit seinen barsch gebellten Kommandos in einem von starkem Akzent gefärbten Chinesisch. Unschlüssig darüber, was er von dem Jungen mit den blonden Haaren und den grünen Augen halten sollte, steckte er Nikolai in die hinterste Reihe.
    Nikolai hatte noch nie solche Soldaten gesehen – hart und kampferprobt, aber nichts weniger als Paradekrieger. Sie marschierten nicht im roboterhaften Gleichschritt der Deutschen oder der Briten; sie defilierten in ordentlichen, aber ungleichmäßigen Reihen hinter ernsten, jungen Offizieren mit Schnauzbart und komischen langen Degen.
    Trotz der Tatsache, dass in den Wohnvierteln nur wenige Gebäude unversehrt waren, als die Japaner die Stadt besetzten, war Alexandra Iwanowna überrascht und verärgert, als in ihrer Einfahrt ein Stabswagen mit kleinen Standarten an den Kotflügeln auftauchte und ein junger Offizier ihr in metallisch klingendem Französisch mitteilte, dass General Kishikawa Takashi, Gouverneur von Shanghai, bei ihr einquartiert werde. Ihr ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb sagte ihr jedoch, es könnte von Vorteil sein, sich mit dem General auf freundschaftlichen Fuß zu stellen, vor allem, da so viele Annehmlichkeiten des Lebens inzwischen recht knapp geworden waren. Keine Sekunde lang zweifelte sie daran, dass der General sich automatisch in den Kreis ihrer Verehrer einfügen werde.
    Sie irrte sich. Der General nahm sich zwar, obwohl er überaus beschäftigt war, die Zeit, ihr in seinem mit starkem Akzent behafteten, grammatisch aber einwandfreien Französisch zu versichern, er bedauere die kriegsbedingten Unbequemlichkeiten, die er ihrem Haushalt bereite, machte ihr aber unmissverständlich klar, dass sie in seinem

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