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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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und nicht er in ihrem Hause der Gast sei. Stets korrekt in seinem Verhalten ihr gegenüber, war der General jedoch viel zu vertieft in seine Arbeit, um Zeit auf einen Flirt zu verschwenden. Anfangs war Alexandra Iwanowna verblüfft, später verärgert und schließlich fasziniert von der höflichen Indifferenz dieses Japaners, eine Haltung, die sie nie zuvor bei einem heterosexuellen Mann erlebt hatte. Er wiederum fand sie interessant, aber überflüssig. Und ihre Herkunft, die selbst den hochnäsigen Damen von Shanghai wider Willen Ehrfurcht abgerungen hatte, beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Gemessen an seinem tausendjährigen Samuraierbe war ihre Abstammung nichts weiter als ein paar Jahrhunderte europäischer Häuptlingstradition.
    Dennoch arrangierte er aus Höflichkeit einmal in der Woche ein Abendessen im westlichen Stil, wobei er während der oberflächlichen Konversation eine Menge über die Gräfin und ihren zurückhaltenden, in sich gekehrten Sohn erfuhr, sie hingegen kaum etwas über den General. Er war Ende fünfzig – jung für einen japanischen General –, Witwer und hatte eine Tochter in Tokio. Obwohl ein sehr patriotischer Mensch insofern, als er die Natur seines Landes liebte – die Seen, Berge und nebelverhangenen Täler –, hatte er die militärische Laufbahn niemals als seine wahre Berufung betrachtet. Als junger Mann hatte er davon geträumt, Schriftsteller zu werden, obgleich er im Grunde immer gewusst hatte, dass die Tradition seiner Familie ihn letztlich zu einer Militärlaufbahn führen würde. Sein Stolz und sein Pflichtbewusstsein hatten ihn zu einem fleißigen, gewissenhaften Verwaltungsbeamten gemacht, seine Denkgewohnheiten jedoch veranlassten ihn, das Militär als eine Nebenbeschäftigung zu betrachten, obwohl er mehr als die Hälfte seines Lebens in der Armee verbracht hatte. Seinen Verstand, nicht sein Herz, seine Zeit, nicht seine Leidenschaft widmete er seinem Beruf.
    Infolge der unermüdlichen Bemühungen des Generals, die ihn häufig von frühmorgens bis Mitternacht in seinem Büro am Bund festhielten, begann sich die Stadt allmählich zu erholen. Die öffentlichen Dienste wurden wiederbelebt, die Fabriken instand gesetzt, und die chinesischen Bauern kamen wieder zum Markttag in die Stadt. Leben und Lärm kehrten in die Straßen zurück, und bisweilen hörte man sogar Lachen. Wenngleich nach zivilisiertem Maßstab noch keineswegs befriedigend, so waren die Lebensbedingungen für das chinesische Proletariat doch eindeutig besser als unter den Europäern. Es gab Arbeit, sauberes Wasser, sanitäre Anlagen, rudimentäre gesundheitliche Versorgung. Das Betteln wurde verboten, die Prostitution dagegen florierte natürlich, und es kamen zahlreiche Grausamkeiten vor, denn Shanghai war eine besetzte Stadt, und Soldaten sind nun mal brutalisiert.
    Als General Kishikawas Gesundheit unter seiner selbstauferlegten Arbeitslast zu leiden begann, mäßigte er sein Tempo ein wenig und kam abends rechtzeitig zum Dinner nach Hause in die Avenue Joffre.
    Eines Abends nach dem Essen erwähnte der General beiläufig, dass er besonders das Go-Spiel liebe. Nikolai, der sonst höchstens nur sprach, um direkte Fragen knapp zu beantworten, gestand ihm hierauf unaufgefordert, dass auch er in diesem Spiel bewandert sei. Der General vernahm belustigt, aber beeindruckt, dass der Junge dieses Geständnis in fehlerfreiem Japanisch vorbrachte. Als Nikolai dann erklärte, er habe Japanisch aus Büchern und unter Anleitung von Kishikawas Burschen gelernt, lachte er laut.
    »Für ein Studium von nur sechs Monaten sprichst du sehr gut«, lobte der General.
    »Es ist meine fünfte Sprache, Sir. Alle Sprachen sind einander mathematisch ähnlich. Daher erlernt man jede weitere ein wenig leichter als die vorhergehenden. Und außerdem«, sagte er achselzuckend, »habe ich eine Begabung für Sprachen.«
    Kishikawa-san war erfreut über die Art, wie Nikolai Letzteres vorbrachte – ganz ohne Prahlerei, aber auch ohne britisches Understatement, sondern so, wie er etwa gesagt hätte, er sei Linkshänder oder habe grüne Augen. Zugleich musste der General heimlich lächeln, weil ihm klar wurde, dass der Junge den ersten Satz offensichtlich geübt hatte, denn während jener vollkommen korrekt gewesen war, hatten seine folgenden Bemerkungen mehrere idiomatische und Aussprachefehler enthalten. Der General ließ sich seine Belustigung jedoch nicht anmerken; er wusste, dass Nikolai sich in einem Alter befand, in dem man sich

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