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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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wehmütige Ziehen, das ich damals empfand, weil ich nicht fähig war, meinem Vater zu sagen, dass ich ihn liebte. Wir waren es nicht gewohnt, in so offenen und direkten Worten miteinander zu reden. Ich sehe noch jeden Zug in dem zwar strengen, aber feingeschnittenen Profil meines Vaters. Fünfzig Jahre. Doch all die unbedeutenden, hektischen Dinge, die so schrecklich wichtigen und dennoch inzwischen vergessenen Dinge, die den dazwischenliegenden Zeitraum ausfüllten, brechen in sich zusammen und fallen heraus aus meiner Erinnerung. Ich glaubte immer, meinen Vater zu bedauern, weil ich ihm nie sagen konnte, dass ich ihn liebte. Dabei war ich es, den ich bemitleidete. Denn ich brauchte das Aussprechen dieser Worte mehr, als er sie zu hören bedurfte.«
    Das Licht, das von der Erde aufstieg, wurde schwächer, und der Himmel färbte sich purpurn; im Westen schoben sich Gewitterwolken blau-violett und lachsfarben über den Horizont.
    »Und ich erinnere mich an ein anderes Gestern, als meine Tochter noch ein kleines Mädchen war. Da gingen wir auch hier spazieren. Und jetzt, in diesem Augenblick, erinnern sich die Nerven in meiner Hand an das Gefühl ihrer pummeligen Fingerchen in den meinen. Diese Bäume waren damals gerade erst gepflanzt worden – elende, dürre Stämmchen, mit weißen Tuchstreifen an Stützpfosten festgebunden. Wer hätte gedacht, dass solch komische junge Stämmchen alt und weise genug werden könnten, um uns zu trösten, ohne uns Ratschläge aufzudrängen? Ich möchte wissen … ich möchte wissen, ob die Amerikaner sie alle fällen werden, weil sie keine greifbaren Früchte tragen. Ja, wahrscheinlich. Und wahrscheinlich in bester Absicht.«
    Nikolai empfand leises Unbehagen. Noch nie hatte Kishikawa-san sich ihm so rückhaltlos geöffnet. Ihr Verhältnis zueinander war stets von verständnisvoller Zurückhaltung geprägt gewesen.
    »Als ich dich das letzte Mal besuchte, Nikko, da bat ich dich, deine Sprachbegabung zu pflegen. Hast du das getan?«
    »Ja, Sir. Zwar hatte ich keine Gelegenheit, etwas anderes zu sprechen als Japanisch, aber ich habe alle Bücher gelesen, die Sie mir mitgebracht haben, und manchmal führe ich in den verschiedenen Sprachen Selbstgespräche.«
    »Vor allem auf Englisch, hoffe ich.«
    Nikolai starrte ins Wasser. »Am allerwenigsten auf Englisch.«
    Kishikawa-san nickte. »Weil das die Sprache der Amerikaner ist?«
    »Ja.«
    »Kennst du einen Amerikaner?«
    »Nein, Sir.«
    »Aber du hasst sie trotzdem?«
    »Es ist nicht schwer, Barbarenbastarde zu hassen. Ich brauche sie nicht persönlich zu kennen, um sie als Rasse hassen zu können.«
    »Oh, aber siehst du, Nikko, die Amerikaner sind keine Rasse. Und das ist ihr Kardinalfehler. Sie sind, wie du schon sagtest, Bastarde.« Nikolai sah ihn verwundert an. Wollte der General die Amerikaner in Schutz nehmen? Vor drei Tagen erst war er an Tokio vorbeigefahren und hatte die Folgen des größten Brandbombenangriffs in diesem Krieg gesehen, eines Angriffs, der sich vor allem gegen die Wohnviertel und die Zivilisten richtete. Kishikawa-sans eigene Tochter … und sein Enkel …
    »Ich kenne die Amerikaner, Nikko. Ich habe vorübergehend unter dem Militärattaché in Washington gearbeitet. Habe ich dir schon mal davon erzählt?«
    »Nein, Sir.«
    »Nun ja, ich war kein sehr erfolgreicher Diplomat. Um in der Diplomatie zu reüssieren, muss man eine gewisse Flexibilität des Gewissens, eine elastische Einstellung zur Wahrheit entwickeln. Beides fehlte mir. Aber ich lernte die Amerikaner kennen und ihre Tugenden und Fehler beurteilen. Sie sind äußerst geschickte Kaufleute und haben großen Respekt vor finanziellem Erfolg. Diese Tugenden mögen dir mager und billig erscheinen, aber sie stehen im Einklang mit den Wertvorstellungen der industrialisierten Welt. Du bezeichnest die Amerikaner als Barbaren, und damit hast du natürlich Recht. Das weiß ich sogar noch besser als du. Ich weiß, dass sie Gefangene gefoltert und genital verstümmelt haben. Ich weiß, dass sie Männer mit ihren Flammenwerfern in Brand gesetzt haben, um zu sehen, wie weit sie noch laufen konnten, bevor sie zusammenbrachen. Jawohl, Barbaren. Aber, Nikko, unsere eigenen Soldaten haben ähnliche Dinge getan, jeder Beschreibung spottende grausame und scheußliche Dinge. Krieg, Hass und Angst haben aus unseren eigenen Landsleuten Bestien gemacht. Und wir sind keine Barbaren; unser Moralgefühl hätte von tausend Jahren der Zivilisation und Kultur gestählt sein müssen.

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