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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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In gewisser Weise ist gerade die Tatsache, dass sie Barbaren sind, für die Amerikaner eine Entschuldigung – oder nein, entschuldigen kann man so etwas nicht –, eine Erklärung also. Und wie können wir die Brutalität der Amerikaner verurteilen, deren Kultur nichts ist als eine dünne Lackschicht, ein im Verlauf einiger Jahrzehnte zusammengehauenes Flickwerk, wenn wir selbst, trotz unserer tausendjährigen Tradition brüllende Bestien ohne Mitleid und Humanitätsgefühl sind? Amerika wurde schließlich vom Abschaum und von den Versagern Europas besiedelt. Im Lichte dieser Erkenntnis müssen wir sie als unschuldig betrachten. So unschuldig wie eine Natter, so unschuldig wie ein Schakal. Gefährlich und verschlagen, aber nicht sündig. Sie sind nicht einmal eine Kultur. Sie sind ein kultureller Brei aus den Resten und Abfällen des europäischen Banketts. Im günstigsten Fall sind sie eine salonfähige Technologie. Statt einer Ethik haben sie Vorschriften. Quantität hat für sie die Funktion, die für uns die Qualität besitzt. Was für uns Ehre und Schande bedeutet, das ist für sie Gewinn und Verlust. Außerdem darfst du nicht in Begriffen wie Rasse denken; Rasse ist nichts, Kultur ist alles. Von der Rasse her bist du ein Abendländer; kulturell gesehen jedoch bist du keiner, und daher bist du eben auch keiner. Jede Kultur hat ihre Stärken und Schwächen, die man nicht gegeneinander aufwiegen kann. Das einzig absolut sichere Kriterium ist, dass eine Verschmelzung von Kulturen stets in einer Mischung ihrer schlechtesten Eigenschaften resultiert. Das Böse an einem Menschen oder einer Kultur ist das starke, bösartige Tier tief im Innern. Das Gute an einem Menschen oder einer Kultur erwächst aus der anfälligen, künstlichen Hinzufügung einer ausgleichenden Zivilisation. Und wenn Kulturen sich untereinander kreuzen, gewinnen unweigerlich die dominanten niedrigen Elemente die Oberhand. Du siehst also, wenn du die Amerikaner beschuldigst, Barbaren zu sein, enthebst du sie damit in Wirklichkeit der Verantwortung für ihre Empfindungslosigkeit und Oberflächlichkeit. Nur wenn du auf ihren Bastardcharakter als solchen hinweist, triffst du ihren eigentlichen Fehler. Und ist Fehler überhaupt der richtige Ausdruck? Schließlich werden in der Welt der Zukunft, einer Welt der Kaufleute und Techniker, die niedrigen Instinkte des Bastards dominieren. Der Abendländer bestimmt die Zukunft, Nikko. Eine harte und unpersönliche Zukunft der Technologie und Automation, gewiss – aber dennoch die Zukunft. Du wirst in dieser Zukunft leben müssen, mein Sohn. Es nützt dir nichts, den Amerikanern mit Verachtung zu begegnen. Du musst versuchen, sie zu verstehen, und sei es nur, um dich vor ihnen zu schützen.«
    Kishikawa-san hatte sehr leise, beinahe wie zu sich selbst gesprochen, während sie im schwindenden Licht langsam den breiten Pfad entlangschritten. Sein Monolog klang wie eine Lektion, die ein liebevoller Lehrer einem eigenwilligen Schüler erteilt; und Nikolai hatte gesenkten Kopfes mit ungeteilter Aufmerksamkeit zugehört. Nach minutenlangem Schweigen lachte Kishikawa-san leicht und klatschte in die Hände. »Genug davon! Ratschläge helfen nur dem, der sie gibt, und das auch nur insofern, als er sein Gewissen erleichtert. Letztlich wirst du doch tun, was das Schicksal und deine Erziehung diktieren, und meine Ratschläge werden deine Zukunft nicht mehr beeinflussen, als eine Kirschblüte, die in den Fluss fällt, seinen Lauf ändert. Eigentlich wollte ich mit dir über etwas anderes sprechen, und das habe ich bisher vermieden, indem ich mich über Kultur und Zivilisation und die Zukunft verbreitete – Themen, so tief und zugleich so vage, dass man sich gut dahinter verstecken kann.«
    Während die Nacht sich senkte und eine kühle Brise vom Fluss heraufstieg, die die Kirschblüten wie dichte rosa Schneeflocken herabrieseln ließ, die ihre Wangen streiften und Haare und Schultern bedeckten, schlenderten sie schweigend dahin. Am Ende des breiten Pfades gelangten sie an eine Brücke, auf deren höchstem Punkt sie stehen blieben und in die schwach phosphoreszierende Gischt hinabblickten, die sich dort bildete, wo der Fluss gegen die Felsen brandete. Der General holte tief Atem und stieß ihn langsam durch die geschürzten Lippen aus, während er sich innerlich für das stählte, was er Nikolai sagen wollte.
    »Dies ist unser letztes Gespräch, Nikko. Man hat mich nach Mandschukuo versetzt. Wir erwarten den Angriff der

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