Shibumi: Thriller (German Edition)
Ich werde Sie über seinen Werdegang informieren, damit Sie die Notwendigkeit der Maßnahmen einsehen, die wir treffen müssen, um diesen Schnitzer wieder auszubügeln.« Diamond wandte sich an den Ersten Assistenten, der bescheiden vor seinem Computer gewartet hatte. »Lassen Sie mal die Informationen über Hel durchlaufen.«
Und während Fat Boys Daten nüchtern und prosaisch auf der Tischplatte vor ihnen abrollten, umriss Diamond kurz die biografischen Umstände, die dazu geführt hatten, dass Nikolai Hel erfuhr, General Kishikawa sei in russischer Gefangenschaft und solle der Kriegsverbrecherkommission vorgeführt werden.
JAPAN
Nikolai erbat und erhielt unbezahlten Urlaub, um seine Zeit und Energie uneingeschränkt der Suche nach dem General widmen zu können. Die folgende Woche war ein Albtraum, ein verzweifeltes, zeitlupenhaft ablaufendes Anrennen gegen die schwammigen, aber unüberwindlichen Barrieren aus Amtsschimmel, innerbehördlicher Geheimniskrämerei, internationalem Misstrauen, bürokratischer Trägheit und individueller Gleichgültigkeit. Seine Bemühungen bei der japanischen Zivilregierung blieben ergebnislos. Deren System war einfach zu statisch und festgefahren, weil die Besatzungsmächte der japanischen Neigung zu Überorganisation und Autoritätsteilung, die dem einzelnen die Bürde der Verantwortung erleichtern sollten, Elemente einer wesensfremden Demokratie aufgepfropft hatten, die eine für ineffiziente Regierungsformen typische geschäftige Untätigkeit mit sich brachten.
Daraufhin wandte sich Nikolai an die Militärregierung und schaffte es durch seine Hartnäckigkeit, ein Stück des Mosaiks der Ereignisse zusammenzusetzen, die zur Gefangennahme des Generals geführt hatten. Dabei musste er notgedrungen gefährlich auffällig werden, obwohl ihm klar war, dass es für jemanden, der mit gefälschten Papieren und ohne den Schutz einer offiziellen Staatsangehörigkeit lebte, ein großes Risiko darstellte, die Bürokraten aufzustöbern, die am besten im reizlosen Klima des dysfunktionalen Status quo gedeihen.
Das Ergebnis dieser Woche emsigen Suchens und Forschens war mager. Wie Nikolai hörte, war Kishikawa-san der Kriegsverbrecherkommission von den Sowjets übergeben worden, die auch die Anklage in seinem Prozess übernahmen, und befand sich gegenwärtig im Sugamo-Gefängnis. Zu seinem Verteidiger hatte man einen amerikanischen Gerichtsoffizier bestellt, der Nikolai jedoch erst empfing, nachdem ihn dieser mit zahllosen Briefen und Anrufen bombardiert hatte, und auch dann nur ganz früh am Morgen auf eine knappe halbe Stunde.
Nikolai erhob sich schon vor Tagesanbruch und fuhr mit einer überfüllten Straßenbahn zum Yotsuya-Bezirk. Ein regnerischer, schiefergrauer Morgen zog am östlichen Himmel auf, als er über die Akebonobashi schritt, die Brücke der Dämmerung, hinter der sich die hässliche Masse der Ichigaya-Kaserne erhob, die zum Symbol der unmenschlichen Maschinerie westlicher Justiz geworden war.
Eine Dreiviertelstunde lang saß er auf einer Holzbank vor der Kanzlei des Verteidigers im Kellergeschoss und wartete, bis ihn eine gereizte und überarbeitete Sekretärin in Captain Thomas’ vollgestopftes Büro führte. Ohne von der Niederschrift einer Aussage, in der er las, aufzublicken, deutete der Captain auf einen Stuhl. Erst als er fertig war und eine Randnotiz hinzugefügt hatte, hob er endlich den Kopf.
»Ja?« Sein Ton war weniger schroff als erschöpft. Er war allein für die Verteidigung von sechs angeklagten Kriegsverbrechern verantwortlich und musste, im Vergleich zu der ungeheuren Ermittlungs- und Organisationsmaschinerie, die der Anklage in den Büros über ihm zur Verfügung stand, mit äußerst begrenztem Personal und ebenso begrenzten Mitteln arbeiten. Seiner inneren Ausgeglichenheit war überdies abträglich, dass er eine höchst idealistische Auffassung von der Fairness der angelsächsischen Rechtsprechung hatte und sich so uneingeschränkt in ihrem Dienst aufrieb, dass aus jedem seiner Worte Müdigkeit, Frustration und bitterer Fatalismus sprachen. Er wollte nichts weiter, als dies alles hinter sich bringen, um dann ins Zivilleben und in seine kleinstädtische Anwaltskanzlei in Vermont zurückkehren zu können.
Nikolai erklärte ihm lang und breit, er suche Auskunft über General Kishikawa.
»Warum?«
»Weil er mein Freund ist.«
»Ihr Freund?«, fragte der Captain zweifelnd.
»Jawohl, Sir. Er … er hat mir sehr geholfen, als ich damals in Shanghai
Weitere Kostenlose Bücher