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Shibumi: Thriller (German Edition)

Shibumi: Thriller (German Edition)

Titel: Shibumi: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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Captain Thomas steckte sich am Rest seiner Zigarette die nächste an und zerdrückte den Stummel der ersten in einem überquellenden Aschenbecher. Mit einem unfrohen Lachen stieß er den Rauch aus. »Können Sie sich ausmalen, was aus FDR oder General Patton geworden wäre, wenn die andere Seite gesiegt hätte? Angenommen natürlich, die wäre auch so selbstgerecht gewesen, Kriegsverbrecherprozesse zu inszenieren. Verdammt, die Einzigen, denen man nicht den Titel ›Kriegstreiber‹ verpasst hätte, wären die hinterwäldlerischen Isolationisten gewesen, die dafür gesorgt haben, dass wir uns nicht dem Völkerbund anschlossen. Und die wären zweifellos als Marionettenregierung eingesetzt worden, genau wie auch wir hier die Oppositionsmitglieder ins Parlament gebracht haben. Das ist der Lauf der Welt, mein Sohn. Und jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Morgen habe ich vor Gericht einen alten Mann zu verteidigen, der an Krebs eingeht und behauptet, niemals etwas anderes getan zu haben, als die Befehle des Tenno zu befolgen. Zweifellos jedoch wird man ihn den ›Leoparden von Luzon‹ oder den ›Puma von Pago-Pago‹ nennen. Und wissen Sie was, mein Junge? Es ist gar nicht so unmöglich, dass er tatsächlich der Leopard von Luzon war. Aber so oder so – es spielt keine Rolle.«
    »Darf ich ihn denn wenigstens sehen? Besuchen?«
    Captain Thomas hatte den Blick schon wieder auf die Akten des nächsten anstehenden Falles gesenkt. »Was?«
    »Ich möchte General Kishikawa besuchen. Darf ich das?«
    »Da kann ich Ihnen nicht helfen. Er ist Gefangener der Russen. Bei denen müssen Sie die Genehmigung einholen.«
    »Ja, aber wie kommen Sie denn zu ihm?«
    »Überhaupt nicht.«
    »Sie haben noch nicht einmal mit ihm gesprochen?«
    Captain Thomas richtete die geröteten Augen auf ihn. »Es dauert noch sechs Wochen, bis er vor Gericht kommt. Gegen den Leoparden von Luzon dagegen wird morgen verhandelt. Gehen Sie zu den Russen. Vielleicht können die Ihnen helfen.«
    »Und an wen muss ich mich da wenden?«
    »Weiß der Teufel, mein Junge. Keine Ahnung.«
    Nikolai erhob sich. »Aha. Vielen Dank.«
    Als er schon beinahe die Tür erreicht hatte, setzte Captain Thomas noch hinzu: »Es tut mir leid, mein Sohn. Ehrlich.«
    Nikolai nickte und ging hinaus.
    In den nun folgenden Monaten sollte Nikolai oft über den Unterschied zwischen Captain Thomas und seinem russischen Gegenspieler, Oberst Gorbatow, nachdenken. Sie waren geradezu idealtypische Vertreter der Denkweise der Supermächte und ihrer Methoden, mit Menschen und Problemen fertigzuwerden. Der Amerikaner war aufrichtig bekümmert, mitfühlend, abgehetzt, unorganisiert – und absolut nutzlos gewesen. Der Russe dagegen war misstrauisch, indifferent, gut vorbereitet und informiert, aber letztlich doch von einigem Wert für Nikolai, der in einem großen, hart gepolsterten Sessel saß, während der Oberst nachdenklich in seinem Glas Tee rührte, bis die beiden großen Zuckerstücke zerfielen und auf dem Glasboden umherwirbelten, ohne sich ganz aufzulösen.
    »Möchten Sie wirklich keinen Tee?«, fragte der Oberst.
    »Nein, danke.« Nikolai zog es vor, keine Zeit auf gesellschaftliche Formen zu verschwenden.
    »Ich persönlich bin geradezu teesüchtig. Wenn ich mal sterbe, wird der Arzt, der mich obduziert, feststellen, dass ich inwendig gegerbt bin wie Schuhleder.« Der Russe lächelte mechanisch über diesen abgestandenen Witz, dann stellte er das Glas in den Metallhalter zurück. Er löste die runde Stahlbrille von den Ohren und reinigte die Gläser, oder verteilte vielmehr den Schmutz darauf gleichmäßig mit Daumen und Zeigefinger. Dabei richtete er seinen verhangenen Blick auf den jungen Mann ihm gegenüber. Gorbatow war weitsichtig, daher sah er Nikolais jungenhaftes Antlitz mit den ungewöhnlichen grünen Augen ohne Brille deutlicher. »Sie sind also ein Freund von General Kishikawa. Ein Freund, der um sein Wohlergehen besorgt ist. Stimmt das?«
    »Jawohl, Herr Oberst. Und wenn ich kann, möchte ich ihm gern helfen.«
    »Durchaus begreiflich. Wozu wären Freunde sonst da?«
    »Auf jeden Fall hätte ich gern Ihre Erlaubnis, ihn im Gefängnis zu besuchen.«
    »Selbstverständlich hätten Sie die gern. Das kann ich verstehen.« Der Oberst setzte die Brille wieder auf und schlürfte seinen Tee. »Sie sprechen übrigens sehr gut Russisch, Herr Hel. Mit einem sehr vornehmen Akzent. Sie haben eine sorgfältige Ausbildung genossen.«
    »Ich brauchte keine Ausbildung. Meine Mutter war

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