Shimmer
viele Leute mit diesem Namen.
Das Montreal war ein ganz netter Laden, ein Dreisternehotel, oberflächlich betrachtet gut geführt und gepflegt – ein geeigneter Ort für einen jungen Mann, um hier die ersten Schritte in seiner Karriere zu machen. Der Hoteldirektor, ein Mann mit Namen Carl Lundquist, hatte nur Gutes über Adani zu berichten, doch es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. Gloria Garcia hingegen, die den beiden Detectives schon einmal Rede und Antwort gestanden hatte, war nach wie vor äußerst redselig und schien die Einzige von Adanis Kollegen zu sein, die der Mord betroffen machte. Doch weder sie noch sonst jemand, der zurzeit Dienst hatte, konnte den Detectives etwas Hilfreiches berichten.
Außerdem hatte es offenbar keine Streitigkeiten zwischen Adani und anderen Hotelmitarbeitern gegeben – zumindest keine, über die jemand reden wollte. Auch hatte Adani sich weder mit Hotelgästen angelegt, noch hatte er eine Beförderung bekommen, die einem anderen zugedacht gewesen wäre. Und es gab keine noch so kleine Beschwerde gegen ihn. Liebesbeziehungen hatte er hier ebenfalls nicht gehabt; zwei Mitarbeiter des Hotels beschrieben ihn überdies als »sehr introvertiert«.
Sam und Martinez schrieben sich Namen, Adressen und Telefonnummern auf, erstellten Listen von Angestellten, die gerade außer Dienst waren, sowie von Zeitarbeitern und Handwerkern. Dann kopierten sie die Einträge im Gästebuch der letzten Zeit und die Dienstpläne der vergangenen zwei Monate – alles, was ihnen helfen konnte, sich ein möglichst genaues Bild vom Arbeitsleben des Opfers zu verschaffen.
Auf dem Weg hinaus kamen sie an Gloria Garcia hinter der Rezeption vorbei.
»Mir ist gerade etwas eingefallen«, sagte sie.
»Nur zu«, erwiderte Sam, und Hoffnung keimte in ihm auf, »lassen Sie hören.«
»Ich erinnere mich doch an den Namen des Freundes«, sagte sie. »Er hieß Eddie.«
»Sonst nichts?«, hakte Martinez nach.
»Ich weiß, das ist nicht gerade viel«, erwiderte Gloria.
»Jede Kleinigkeit ist eine große Hilfe für uns«, sagte Sam.
Er hoffte nur, dass Gloria nicht gesehen hatte, wie sein Partner die Augen verdrehte.
30
David Becket, grauhaarig, mit Hakennase und noch zerzauster als in den Tagen vor seinem frühzeitigen Ruhestand, hatte schon immer gut mit Menschen umgehen können, besonders mit Kindern. Letzteres hatte ihn – neben seinen medizinischen Fähigkeiten – als Kinderarzt so beliebt gemacht. Gleiches galt für die Erwachsenen, die förmlich in die kostenlose Behandlungsstation geströmt waren, die David jahrelang mit einem Kollegen betrieben hatte. Er war ausgesprochen sensibel und wusste meist, wann er von Sorgen geplagte Menschen drängen und wann er sie in Frieden lassen musste. Das war eine Gabe, von der Grace gerne glaubte, sie ebenfalls zu besitzen; aber sie hatte auch gelernt, sie bei ihrer Arbeit als Psychologin bisweilen auszuschalten, denn häufig blieb ihr weniger als eine Stunde, um einen Patienten aus der Reserve zu locken.
Auch Saul besaß diese Warmherzigkeit.
»Hallo«, sagte er und trat auf die Einfahrt hinaus, als die beiden Schwestern erschienen. »Da sind ja alle meine Lieblingsverwandten.« Er hob seinen Neffen in die Höhe, und Joshua quiekte vor Vergnügen.
»Fast alle«, fügte David hinzu.
»Sam lässt euch ganz lieb grüßen«, sagte Grace.
»Cops«, bemerkte Claudia. »Immer bei der Arbeit.«
Dann errötete sie und erinnerte sich an Sauls verlorene Liebe, die ebenfalls ein Cop gewesen war.
»Sei nicht so empfindlich«, erwiderte Saul gelassen. »Ich bin es auch nicht.«
Seine Stimme klang noch immer ein wenig heiser, ein Erbe der Schrecken des vergangenen Jahres, genau wie die Narben an seinem Hals und die steife rechte Schulter. Doch Saul lebte und genoss sein Talent, schöne und nützliche Dinge aus Holz zu erschaffen.
»Manchmal mache ich mir Sorgen«, hatte David vor einem Monat zu Grace gesagt, »dass er nie wieder ins wirkliche Leben zurückkehrt, solange er mit seinem alten Herrn lebt und arbeitet.«
»Oh, er geht schon mal raus«, hatte Grace erwidert. »Und ich habe keine Zweifel, dass er auch wieder ausziehen wird, sobald er bereit dazu ist. Du machst dir zu viele Gedanken.«
David schaute zu Saul hinüber, der mit Joshuas Tante und dem Baby auf dem Boden saß und mit Bauklötzen und einem großen Plüschhund spielte.
»Was ist mit Claudia los?«, fragte David leise.
»Sie hat Probleme«, antwortete Grace.
»Das tut mir leid zu
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