Shining Girls (German Edition)
Schiffswerften verrußt waren, bis er imstande war, in einen Zug von Seneca nach Chicago zu springen, mitten zwischen die Wanderarbeiter und Landstreicher, die keine Kommentare über sein violett verfärbtes, aufgequollenes Gesicht abgeben würden.
Die Drähte um seine Zähne werden ihn auf der Suche nach den Mädchen einschränken. Er muss sprechen können. Er wird untertauchen müssen. Er muss sein Vorgehen überdenken.
Er wird nicht noch einmal verletzt werden. Er muss einen Weg finden, um sie unter Kontrolle zu halten.
Wenigstens hat er fast keine Schmerzen mehr, sie sind im Morphinrausch untergegangen. Aber die verdammte Krankenschwester macht sich immer noch um sein Bett herum zu schaffen, völlig überflüssig, soweit er es beurteilen kann. Er hat keine Ahnung, warum sie sich so lange bei ihm aufhält. Er will, dass sie geht. Müde hebt er den Arm in ihre Richtung. «Ws?»
«Ich will nur sicher sein, dass Sie alles haben. Sie können mich rufen, wenn Sie noch irgendetwas brauchen, ja? Fragen Sie nach Etta.» Sie drückt seinen Oberschenkel unter der Decke und verlässt eilig das Zimmer.
Oink, oink, denkt er, während das Morphium seine volle Wirkung entfaltet und ihn verschlingt.
Sie behalten ihn drei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus. Zur Beobachtung seines Geldbeutels, argwöhnt er. Im Bett zu liegen hat ihn zappelig vor Ungeduld werden lassen, deshalb geht er sofort wieder aus dem Haus, als er zurück ist, mit seinem verdrahteten Kiefer und allem. Er wird sich nicht noch einmal überrumpeln lassen.
Er geht zurück, um in den Zeitungen über ihre Ermordung zu lesen, über die breit berichtet wird, bis klar ist, dass es ein einfacher Mord war und keine Kriegshandlung. Die einzige Zeitung, die eine richtige Todesanzeige mit den Einzelheiten zu ihrer Beerdigung bringt, ist der
Defender
. Die Beerdigung findet nicht auf dem Friedhof statt, bei dem er sie getötet hat, denn der ist nur für Weiße, sondern auf dem Burr Oak in Chicago. Er kann nicht widerstehen und geht hin. Er hält sich im Hintergrund, der einzige weiße Mann bei diesem Ereignis. Als ihm jemand die unvermeidliche Frage stellt, warum er gekommen ist, nuschelt er um die Verdrahtung: «Knnte ss», und die Dummköpfe füllen die Informationslücken selber.
«Haben Sie mit ihr gearbeitet? Sind Sie gekommen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen? Den ganzen Weg von Seneca bis hierher?» Sie wirken erstaunt.
«Ich wünschte, es gäbe mehr Männer wie Sie», sagt eine Frau mit einem Hut, und sie schieben ihn nach vorn, sodass er auf den mit weißen Lilien bedeckten Sarg sechs Fuß unter ihm hinunterschaut.
Die Kinder sind leicht zu erkennen. Die dreijährigen Zwillinge, die zwischen den Grabsteinen spielen und nicht richtig verstehen, was um sie geschieht, bis eine Verwandte ihnen einen Klaps gibt und sie schimpfend zum Grab zurückzieht. Ein zehnjähriges Mädchen, das ihn böse anstarrt, als wisse es Bescheid, hält seinen kleinen Bruder an der Hand, der zu verstört ist, um zu weinen, auch wenn er tief und bebend atmet.
Harper wirft eine Handvoll Erde auf den Sarg.
Das habe ich dir angetan
, denkt er, und die Drähte um seine Zähne lassen sein schreckliches verzerrtes Grinsen aussehen, als würde er von Trauergefühlen übermannt.
Das Vergnügen, bei ihrer Beerdigung gewesen zu sein, ohne dass ihn jemand verdächtigt hat, hält ihn in Schwung. Es immer wieder vor sich ablaufen zu lassen entschädigt ihn für die Schmerzen im Kiefer. Doch irgendwann wird er rastlos. Er kann nicht zu lange im Haus bleiben. Die Gegenstände fangen wieder an zu summen, treiben ihn hinaus. Er muss eine andere suchen. Und
die Suche
kann doch erfolgen, ohne dass er seinen Charme einsetzen muss, oder?
Er geht in die Nachkriegszeit 1950 , was anstrengend ist wegen der Rationierung und den von Angst gezeichneten Gesichtern der Menschen. Er sagt sich, dass er sich nur ein bisschen umsieht, aber er
weiß
, dass eins von seinen Mädchen hier ist. Das weiß er immer.
Es ist das gleiche Ziehen in seinem Magen, das ihn zu dem Haus gebracht hat. Dieses schneidend klare Bewusstsein, dass er an einen Ort geht, an dem er sein soll – und an dem er einen Talisman aus dem Zimmer entdeckt. Es ist ein Spiel. Sie über unterschiedliche Zeiten und Orte hinweg zu finden. Und sie spielen mit, sind bereit, erwarten das Schicksal, das er für sie vorherbestimmt hat.
So wie sie
, die mit einem Skizzenblock, einem Glas Wein und einer Zigarette vor einem Café in Old
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