Shining
glaubte sich auch zu erinnern, aus den großen Doppeltüren nach draußen geschaut und japanische Lampions gesehen zu haben, die in elegantem, geschwungenem Bogen die Auffahrt säumten – sie glänzten in weichen Pastellfarben wie dunkle Juwelen. Die große Kuppelleuchte an der Decke der Vorhalle war eingeschaltet, und nächtliche Insekten flirrten und stießen gegen das Glas, und etwas in ihm, vielleicht der letzte, winzige Rest an Nüchternheit, versuchte ihm einzureden, dass es sechs Uhr früh an einem Morgen im Dezember sei. Aber die Zeit war ausgelöscht.
(Die Argumente gegen geistige Umnachtung fallen weg. Mit scharrendem Geräusch – und eines nach dem andern …)
Wer hatte das geschrieben? Irgendein Dichter, den er als Student gelesen hatte? Ein junger Dichter, der jetzt Waschmaschinen in Wausau verkaufte oder Versicherungen in Indianapolis? Vielleicht ein origineller Gedanke? Was machte das schon aus?
(Die Nacht ist schwarz – die Sterne stehen hoch – als körperloser Kuchen – schwebt der Mond am Himmel …)
Er kicherte hilflos.
»Was ist denn so lustig, Honey?«
Und schon war er wieder im Festsaal. Der große Leuchter strahlte, und um sie herum bewegten sich die Paare, einige in Kostümen, andere nicht, zu den seichten Klängen irgendeiner Nachkriegsband – aber welcher Krieg? Weiß man das genau?
Nein, natürlich nicht. Er wusste nur eins genau: Er tanzte mit einer schönen Frau.
Sie war groß und rothaarig, trug ein knappsitzendes weißes Sarinkleid und tanzte eng. Weich und angenehm drückte ihr Busen gegen seine Brust. Ihre weiße Hand lag in seiner. Sie trug eine kleine, glitzernde Augenmaske und hatte ihr Haar zur Seite gekämmt. In weichen, glänzenden Wellen floss es zwischen ihrer und seiner Schulter herab. Ihr Kleid war weit ausgestellt, aber er fühlte von Zeit zu Zeit ihre Schenkel an seinen Beinen, und mehr und mehr war er davon überzeugt, dass unter ihrem Kleid eine wunderschöne, glatte, nackte Haut liegen musste.
(damit ich um so besser deine Erektion spüre, Liebling)
Und er hatte eine gewaltige. Sollte es ihr unangenehm sein, so verbarg sie es jedenfalls gut; sie drängte sich sogar noch enger an ihn.
»Nichts ist lustig, Honey«, sagte er und kicherte wieder.
»Ich mag dich«, flüsterte sie, und er fand, dass ihr Parfüm nach Maiglöckchen duftete, die geheim und verborgen in Spalten wuchsen, die grünes Moos bedeckte – an Stellen, wo es wenig Sonne gab, aber lange Schatten.
»Ich mag dich auch.«
»Wir können nach oben gehen, wenn du willst. Ich müsste eigentlich bei Harry sein, aber er wird mein Fehlen kaum bemerken. Er hat genug damit zu tun, den armen Roger zu ärgern.«
Die Musik verstummte. Applaus prasselte auf, und die Band ging fast ohne Pause zu »Mood Indigo« über.
Jack schaute über ihre nackte Schulter hinweg und sah Derwent am Tisch mit den Erfrischungen stehen. Das Mädchen im Sarong stand neben ihm. Auf dem weißen Rasen, der den Tisch bedeckte, waren Champagnerflaschen in Eiskübeln aufgereiht. Derwent hielt eine schäumende Flasche in der Hand. Eine Gruppe von Leuten hatte sich versammelt, und alle lachten. Vor Derwent und dem Mädchen im Sarong vollführte Roger auf allen Vieren alberne Kapriolen. Seinen schlaffen Schwanz zog er hinter sich her. Er bellte.
»Wie spricht der Hund?« rief Harry Derwent.
»Wuff! Wuff!« antwortete Roger. Alle klatschten. Einige der Männer pfiffen.
»Und jetzt mach schön. Mach schön, Hündchen!«
Roger hockte sich aufgerichtet hin. Das Maul der Maske war starres Zähnefletschen. Innerhalb der Löcher rollte Roger krampfhaft fröhlich mit den Augen. Er streckte die Arme aus und ließ die Pfoten hängen.
»Wuff! Wuff!«
Derwent hob die Flasche Champagner, und ein schäumender Niagara ergoss sich über die nach oben gerichtete Maske. Roger schlürfte wie besessen, und wieder applaudierten alle. Einige Frauen kreischten vor Lachen.
»Harry ist vielleicht ’ne Nummer, was?« sagte seine Partnerin zu Jack und drückte ihn fest an sich. »Das sagen alle. Weißt du, er ist bisexuell.
Der arme Roger ist nur schwul. Er hat mit Harry mal ein Wochenende in Kuba verbracht … ach, vor Monaten. Jetzt folgt er Harry auf Schritt und Tritt und wackelt mit seinem kleinen Schwanz.«
Sie kicherte. Der leise Duft von Maiglöckchen schwebte auf.
»Aber Harry hält nie auch nur für eine Sekunde mit etwas hinter dem Berg … wenigstens nicht, was seine Bisexualität anbetrifft … und Roger ist ganz einfach verrückt
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