Shining
die Schatten schleichend und den Wind atmend.
Ich werde dich schon finden! Ich werde dich schon finden!
»Tony?« flüsterte er wieder, aber ohne große Hoffnung.
Nur der Wind gab Antwort. Er wehte jetzt stärker und fegte Blätter über das abgefallene Dach unter seinem Fenster. Einige fielen in die Dachrinne und blieben dort liegen wie müde Tänzer. Danny … Danny…!
Er fuhr zusammen beim Klang dieser vertrauten Stimme und lehnte sich wieder aus dem Fenster, die kleinen Hände aufgestützt. Mit Tonys Stimme schien sich die Nacht leise und insgeheim belebt zu haben, sogar zu flüstern, wenn der Wind sich legte, die Blätter ruhten und die Schatten sich nicht mehr bewegten. Er glaubte, einen Block weiter, an der Bushaltestelle, einen dunkleren Schatten zu sehen, aber das mochte eine optische Täuschung sein.
Geh nicht, Danny …
Wieder frischte der Wind auf, dass er blinzeln musste, und der Schatten an der Bushaltestelle war weg … wenn er je dort gewesen war. Danny blieb noch ein wenig länger
(eine Minute? eine Stunde?)
am Fenster stehen, aber er sah nichts mehr. Endlich kroch er ins Bett zurück und zog sich die Decke bis ans Kinn und schaute wieder den Schatten zu, die von der seltsamen Straßenlampe an die Decke geworfen wurden und die sich in einen Dschungel von fleischfressenden Pflanzen verwandelten, die sich um ihn winden wollten, um alles Leben aus ihm herauszuquetschen und ihn in finstere Dunkelheit herabzuziehen, in der ein unheilverkündendes Wort rot aufblitzte: DROM.
TEIL ZWEI
SAISONSCHLUSS
8
DAS OVERLOOK
Mommy machte sich Sorgen.
Sie hatte Angst, der Käfer würde den Weg durch die Berge nicht schaffen und dass sie vielleicht irgendwo an der Straßenseite liegenbleiben würden, wo jemand vorbeifahren und mit ihnen kollidieren könnte. Danny war zuversichtlicher. Wenn Daddy glaubte, der Wagen würde diese letzte Reise schaffen, dann würde es wohl auch klappen.
»Wir sind schon fast da«, sagte Jack.
Wendy strich sich das Haar aus der Stirn. »Gott sei Dank.«
Sie saß auf dem Beifahrersitz, ein geöffnetes Taschenbuch mit der Schrift nach unten vor sich auf dem Schoß. Sie trug ihr blaues Kleid, das für Danny ihr schönstes war. Es hatte einen Matrosenkragen und ließ sie sehr jung aussehen, wie ein Mädchen, das gerade die Oberschule verlassen hatte. Daddy legte ihr immer wieder die Hand aufs Knie, und sie lachte dazu und versuchte, sie abzuschütteln und sagte dabei: »Jetzt hör’ aber auf damit.«
Danny war von den Bergen sehr beeindruckt. Einmal hatte Daddy ihn auf einen der Berge bei Boulder mitgenommen, man nannte sie Flatirons, aber diese hier waren viel höher, und auf dem höchsten lag eine dünne Schneedecke, die manchmal das ganze Jahr liegen blieb, wie Daddy sagte.
Und sie waren tatsächlich mitten in den Bergen, wirklich und wahrhaftig. Steile Felswände ragten überall empor, so hoch, dass man kaum ganz bis nach oben schauen konnte, selbst wenn man sich den Hals verrenkte. Als sie aus Boulder wegfuhren, war es noch über zwanzig Grad warm gewesen. Jetzt, kurz nach Mittag, war es hier oben schon so kalt wie in Vermont im November, und Daddy hatte die Heizung angestellt … nicht, dass sie besonders gut funktionierte. Sie waren schon an einigen Warnschildern mit der Aufschrift VORSICHT STEINSCHLAG vorbeigekommen (Mommy las ihm jedes vor), und obwohl Danny begierig darauf wartete, dass Steine herunterkamen, war das nicht geschehen. Jedenfalls noch nicht.
Vor einer halben Stunde hatten sie ein Schild passiert, das Daddy für sehr wichtig hielt. Auf diesem Schild stand der Ortsname SIDEWINDER, und bis hierher, so sagte Daddy, fuhren im Winter die Schneepflüge. Anschließend würde die Straße für die Schneepflüge zu steil. Im Winter war die Straße von Sidewinder bis nach Buckland, Utah, gesperrt.
Jetzt fuhren sie an einem weiteren Schild vorbei.
»Was ist das denn, Mom?«
»Da steht: LANGSAME FAHRZEUGE BITTE RECHTE FAHRSPUR BENUTZEN. Damit sind wir gemeint.«
»Der Käfer schafft es schon«, sagte Danny.
»Hoffentlich«, sagte Mommy und hielt den Daumen. Danny schaute auf ihre vorne offenen Sandalen und sah, dass sie auch die große Zehe hielt. Er grinste. Sie lächelte zurück, aber er wusste, dass sie sich immer noch Sorgen machte.
In einer Reihe von S-Kurven stieg die Straße an. Jack schaltete vom vierten in den dritten, dann in den zweiten Gang. Der Wagen keuchte und protestierte, und Wendy starrte auf die Tachonadel, die von vierzig
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