Shining
höchster Erregung starrte er in die Dunkelheit und wusste, dass es Stunden dauern würde, bevor er schlafen konnte.
Wendy Torrance lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und lauschte den Schlafgeräuschen ihres Mannes – sie hörte das lange Einatmen, die kurze Pause und das leicht gutturale Ausatmen. Wo war er wohl, wenn er schlief, überlegte sie. In irgendeinem Vergnügungspark, einem Great Barrington der Träume, wo alle Fahrten gratis waren, und wo keine Ehefrau und Mutter ihnen sagte, sie hätten genug Hotdogs gegessen oder sie sollten lieber aufbrechen, wenn sie bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein wollten? Oder in irgendeiner entlegenen Bar, wo das Trinken kein Ende nahm und deren Schwingtür ständig offen war und wo sich all die alten Kumpane mit dem Glas in der Hand um das elektronische Hockeyspiel versammelt hatten, der auffälligste unter ihnen Al Shockley mit gelockerter Krawatte, den obersten Hemdknopf geöffnet? Ein Ort, zu dem Danny und sie keinen Zutritt hatten und wo unaufhörlich der Boogie dröhnte?
Wendy war besorgt um ihn, die alte, hilflose Sorge, die sie für immer in Vermont gelassen zu haben glaubte. Als ob Sorgen nicht Staatsgrenzen überschreiten konnten. Ihr gefiel nicht, was das Overlook Jack und Danny anzutun schien.
Das Erschreckendste war, verschwommen und unerwähnt – man durfte es wohl auch nicht erwähnen –, dass alle Symptome aus seiner Trinkerzeit sich eines nach dem anderen wieder eingestellt hatten … alle, bis auf das Trinken. Diese ständige Mundwischerei mit der Hand oder dem Taschentuch, als ob er sich die Lippen abtrocknen wollte. Die langen Pausen an der Schreib maschine und immer mehr zerknüllte Bogen im Papierkorb. Heute Abend hatte auf dem Telefontisch nach Als Anruf eine Flasche Exedrintabletten aber kein Wasserglas gestanden. Er hatte sie wieder gekaut. Er regte sich über Kleinigkeiten auf. Und wenn ihm alles zu ruhig war, fing er an, in nervösem Rhythmus mit den Fingern zu schnippen. Immer öfter gebrauchte er ordinäre Ausdrücke. Sie machte sich auch wieder Sorgen um seine mangelnde Selbstbeherrschung. Sie wäre erleichtert, wenn er einmal die Beherrschung verlieren und Dampf ablassen würde, auf ähnliche Weise, wie er morgens und abends in den Keller ging, um den Kesseldruck zu verringern. Fast wäre sie froh gewesen, wenn er mal wieder laut geflucht, einen Stuhl durch das Zimmer getreten oder eine Tür zugeknallt hätte. Aber diese Dinge, obwohl wesentlicher Bestandteil seines Temperaments, hatten fast ganz aufgehört. Und doch hatte sie das Gefühl, dass Jack immer öfter auf sie und Danny wütend war, es aber nicht zeigte. Der Kessel hatte einen Druckmesser: alt, gesprungen und fettverschmiert aber noch zu gebrauchen. Jack hatte keinen. Sie hatte nie gut in ihm lesen können. Danny konnte es, aber Danny sagte nichts.
Und dann Als Anruf. Ungefähr zur selben Zeit hatte Danny alles Interesse an der Geschichte verloren, die sie gemeinsam gelesen hatten. Er hatte sie am Feuer sitzen lassen und war zu dem großen Tisch gegangen, auf dem Jack eine Straße für Dannys Modellautos konstruiert hatte. Auch der Volkswagen war da, und Danny fing an, ihn schnell hin und her zu schieben. Sie tat so, als beschäftigte sie sich mit ihrem eigenen Buch, in Wirklichkeit aber beobachtete sie über den Rand hinweg Danny. Sie erkannte eine seltsame Mischung der Gesten, mit denen sie und Jack Besorgnis auszudrücken pflegten. Er wischte sich die Lippen ab. Er fuhr sich nervös mit den Händen durchs Haar, wie sie es getan hatte, wenn sie nachts darauf wartete, dass Jack von einer Kneipentour nach Hause kam. Sie konnte nicht glauben, dass Al nur angerufen hatte, um zu erfahren, »wie es hier läuft«. Wollte man Unsinn reden, rief man Al an. Wenn Al selbst anrief, ging es um etwas.
Als sie dann wieder nach unten gegangen war, hockte Danny vor dem Kamin und las im Lesebuch für die zweite Klasse über Joes und Rachels Abenteuer mit ihrem Daddy im Zirkus. Er las sehr konzentriert, und die zappelige Nervosität von vorhin war völlig verschwunden. Als sie ihm zusah, überkam sie wieder diese unheimliche Gewissheit, dass Danny mehr wusste und mehr verstand, als Dr. (»Nenn mich einfach Bill«) Edmonds Philosophie erkannte.
»Heh, Schlafenszeit, Doc«, sagte sie.
»Ja, okay«, maulte er, legte ein Lesezeichen in sein Buch und stand auf.
»Waschen und Zähne putzen.«
»Okay.«
Nebeneinander blieben sie noch einen Augenblick vor dem Kamin stehen und
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