Shiva Moon
(3895 Meter). Gaumukh ist die Quelle, deshalb interessieren mich die letzten beiden und noch höher gelegenen Punkte auf der Route, Tapovan und Nandanvan, glücklicherweise nicht mehr.
Nun erklärt mir Vinod, wie wir es in zwei Tagen schaffen können. Es ist ganz einfach. Wenn ich nicht darauf bestehe, einen ganzen Tag an der Quelle zu bleiben, wie es alle tun, sondern nur, sagen wir, eine Stunde, sind wir übermorgen wieder hier. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Sie haben keine Bananen in dem Restaurant. Darum wird aus dem Banana Porridge nichts. Sie haben auch keine Heizung. In Gangotri gibt es nirgendwo eine Heizung. Und nirgendwo fließt warmes Wasser aus der Leitung. Ich presse meine Finger um die Tasse mit der heißen Honigmilch. «Hör mal, Vinod», sage ich, «kann man dich auch mal was Illegales fragen?»
5. Endlich Haschisch
Komisch, ich hatte es vergessen. Ich hatte seit meiner Ankunft in Indien nicht mehr gekifft, das hat wenig mit guten Vorsätzen und viel mit bösen Umständen zu tun. Im Bahnhofsviertel von New Delhi arbeiten die Dealer entweder mit der Polizei zusammen, oder sie sind selbst Polizisten, und die Wahrscheinlichkeit, verarscht zu werden, liegt nicht bei 50 : 50, sondern bei 80 : 20. In der Regel geht es um Geld, viel Geld, etwa alles, was du hast. Irgendwelche anderen Motive haben die Polizisten nicht. Sie kiffen ja selbst. Hast du nichts oder zu wenig, um dich rauszukaufen, kommst du für eine Menge, die bei uns mehr oder weniger legal ist, minimum zwei Jahre in den Knast. Wer es überlebt, ist anschließend ein Wrack. Über die Interventionen deiner Botschaft lacht man sich schlapp. Was soll das? Erst mit Wirtschaftssanktionen drohen, falls Indien Drogenanbau und -handel nicht konsequenter bekämpft, und dann jammern, wenn sie Ernst machen? Bei diesem Stand der Dinge auf den einschlägigen Straßen indischer Großstädte Haschisch zu kaufen istdeshalb entweder ein Zeichen von großer Dummheit, großem Leichtsinn oder großer Sucht.
Da ich aus einer Geistesschule stamme, die in allem das Positive sucht, fand ich es gut, mir wieder einmal beweisen zu können, dass ich nur ein bisschen süchtig bin. Es dauert zehn Tage. So lange braucht der Stoffwechsel, um sich des Haschischs zu entledigen. In diesen zehn Tagen ist man im Minus. Nüchterner als nüchtern, erwachsener als erwachsen, ständig schlecht gelaunt, und man kann nicht schlafen. Das hatte ich vergessen, und das war das Problem. Ich suhlte mich in Aggressionen, Depressionen und finsteren Visionen, und niemand stand hinter mir und sagte: «Hey, Junge, das macht man nicht. Man denkt nicht über sein Leben nach auf Drogenentzug.» Das Bewusstsein dafür kam erst zurück, nachdem ich den Joint geraucht hatte, dann aber schlagartig.
Ich bin inzwischen in einem Guesthouse, und Vinod hat einen Freund mitgebracht, der den Krümel auspackt, und hätte er es nicht gemacht, würde ich das Zimmer in etwa so beschreiben: nackte Wände, nackter Boden, zwei Doppelbetten, zwei dicke, aber klamme Decken, eine nackte Glühbirne, Eis im Wasserhahn. Na, gute Nacht. Nach dem Joint kann ich es eigentlich auch nicht anders beschreiben. Haschisch vollbringt keine Wunder. Ich habe keine Halluzinationen. Aus den «nackten» Wänden werden jetzt nicht «einfache» oder «naturbelassene», und dasselbe gilt für die Kälte. Ich finde sie nicht auf einmal erfrischend. Mir ist frisch genug. Nein, nichts hat sich in Gangotri verändert, nur weil ich den ersten Joint nach zehn Tagen geraucht habe, absolut nichts, bis auf eine Kleinigkeit:
ES IST PLÖTZLICH OBERGEIL HIER OBEN .
Ich gehe vor die Tür. Das Guesthouse steht in dritter Reihe am Hang, und ich habe einen guten Blick über den Pilgerort. Weil er nicht an das landesweite Stromnetz angeschlossen ist, sondern eigene Generatoren hat, wird um diese Zeit an allem gespart, was Elektrizität braucht, um Lärm zu machen. Keine Musik, kein Fernsehen, kein Radio. Es gibt auch keine Autos, Motorräder oder Mofas, merkwürdigerweise bellen keine Hunde; dass auch niemand Gitarre spielt, ist dagegen bei den Temperaturen normal. Absolute Stille, absoluter Himalaya. Da sind die Gipfel, zum Greifen nah. Scharf umrissen in einem Sternenhimmel der Güteklasse 1 a. Gangotri ist der zweitheiligste Ort Indiens. Zum heiligsten, Gaumukh, wird mich morgen Vinod führen. Danke, lieber Gott, und weil ich nicht nur laut danke, sondern auch schwanke, kommt Vinod raus, um nach dem Rechten
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