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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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zu sehen. Er fasst mich am Arm. «Problem?», fragt er. «No problem», sage ich. Wieder gefällt mir sein Blick. Da ist Besorgnis und Respekt. Als er gegangen ist, lege ich mich angezogen unter BEIDE Bettdecken und frage mich, warum ich noch immer nicht schlafen kann, obwohl ich den Haschischentzug abgebrochen habe. Antwort: Ab sofort ist es eine Höhenschlaflosigkeit. Ab sofort halten die Berge wach. Lustig ist das Pilgerleben, denke ich.
     
    Der Morgen bringt wieder Licht, Banana Porridge und Kaffee, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, und dann wird es auch noch fast warm. Vinod schnappt sich meinen Rucksack, ich trage nur eine ungewöhnlichleichte Laptoptasche, denn ich hatte mich vor meiner Abreise entschieden, mit dem Diktat von Apple Schluss zu machen. Eigentlich eine Frechheit. Mehr als zwanzig Jahre brauche ich für mein Handwerk nur einen Block und einen Kugelschreiber, und wenn ich mal ausnahmsweise nicht ausschließlich an mich denke, sondern an alle, dann werden daraus dreitausend Jahre, die mein Berufsstand ohne Textprogramme ausgekommen ist. Die «Ilias», «Faust», «Der Schatz im Silbersee», sogar «Der Herr der Ringe» wurden vor der Erfindung des Powerbook geschrieben, und jetzt sagen sie, ich brauche minimum zweitausend Euro, um einen Satz zu formulieren? Leckt mich doch.
    Dank der leichten Tasche und des überaus schönen Morgens gebe ich ein zügiges Tempo vor, aber hundert Meter weiter ist damit Schluss, denn hundert Meter weiter heißt hier dreißig Meter höher, also nicht mehr 3049, sondern 3079   Meter über null, und ich kann a) kaum noch atmen, und b) scheint in der Tasche jetzt doch der Laptop zu sein. Wenig später überholen uns Schnecken. Was die Landschaft angeht, muss ich passen. Ich habe immer Probleme mit Landschaftsbeschreibungen, es sei denn, die Gegend ist hässlich. Über Hässliches, Abartiges, Fertiges schreibt es sich praktisch wie von selbst. Aber Schönheit ist schwierig, und je schöner das Schöne daherkommt, desto mutloser werde ich. Was das Schreiben angeht, nicht das Erleben. Mit allen Sinnen, die mir noch verblieben sind, sauge ich ganzheitlich am Himalaya.
    Ich will es mal so sagen: Die Berge waren nie mein Ding. Ich bin ein Freund der Küstenregionen, der Wüsten und der wüsten Städte, von daher weiß ichnicht, ob es in den Alpen ähnlich aussieht. Ich habe gehört, dass es dort wenige Ecken gibt, wo man in dieser Höhe spazieren gehen kann, vielleicht stimmt’s, vielleicht stimmt’s nicht, für mich ist es jedenfalls das erste, nein das zweite Mal, dass ich erhabene Schönheit sehe, und für mein Empfinden ist erhaben noch eine Stufe höher als gewaltig. Der Fairness halber muss ich auch erwähnen, was mit meinem Gehirn los ist. Es ist zu großen Teilen ausgeschaltet. Sauerstoffarmut macht reich an innerem Frieden. Ich habe das, wie eben erwähnt, schon einmal erlebt. Vor drei Jahren, in Nepal. Ab einer Höhe von dreitausend Metern meditiert man automatisch und von selbst. Es braucht keine Anstrengung mehr, keine Konzentration, keine Technik, keine Drogen, nicht mal den Wunsch danach braucht es. Es passiert einfach. Das Gehirn schaltet um. Auf Notaggregat oder auf seine Kernfunktion, wer weiß das schon.
    Habe ich nicht ein paar schwierige Tage hinter mir? Bin ich nicht komplett zerrissen gewesen? Hier wird es wieder zusammengeklebt, und zwar mein ganzes Leben. Alle Risse. Über nichts in meiner Vergangenheit bin ich noch traurig. Über nichts mehr wütend. Weil sich alles zu einem Sinn zusammenfügt. Und wenn solcherlei Wohltaten mit der Vergangenheit geschehen, löst sie sich letztlich auf, was übrigens auch mit den Angelegenheiten der Zukunft passiert. Das Gehirn hat einfach nicht mehr genügend Sauerstoff dafür. Er reicht nur für die Gegenwart, und innerhalb der Gegenwart nur für den Moment.
    Ich gehe in diesem Moment und auf diesem Pfad, und der Pfad schlängelt sich am Rande eines Tals beständigweiter nach oben, und noch sehe ich Wald und grüne Blätter, auch rote, rostrote, kastanienrote, sogar die Farbe Lila kommt wiesenweise vor, und etwa alle dreißig Minuten gibt es ein Zelt mit Tee und Matratzen, auf die man sich legen kann. Ob ich Reis und Dhal will, fragt mich Vinod, oder eine Fertigsuppe oder Spaghetti aus der Tüte. Die gastronomische Vielfalt entspricht den Gästen oder, besser, den potentiellen Gästen, also jedem, der vorbeigeht, und das sind halt Menschen jeder Art.
    Ich habe Glück, dass ich nicht zur Hochsaison hier bin, im

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