Shiva Moon
abzuwaschen? Mir fallen keine ein. Ich bin mein Leben lang ein Sünder gewesen, aber das zählt hier nicht mehr. Das wird hier umgedreht. Hier wird Sünde zu Suche und Leiden zu Blödheit. Alles Leiden ist Unwissenheit, hat Buddha gesagt. Buddha? Der hat in Gaumukh nichts zu suchen. Dessen Reich liegt hinter dem Gletscher. In Tibet, jetzt China. Dieser Gletscher gehört Shiva. Dem großen Zerstörer. Aber wie kann der große Zerstörer etwas so Nützliches wie den Ganges machen? Wer sagt denn, dass Zerstören nicht nützlich ist, wird Shiva darauf antworten, und außerdem kann er machen, waser will. Zum Beispiel große Steine und Felsbrocken so vor der Quelle drapieren, dass das Rund einem Amphitheater gleicht. Ich suche mir einen Felsen auf der Tribüne, um zu meditieren, aber ich meditiere ja bereits dank der allseits beliebten Sauerstoffknappheit, was den Vorteil mit sich bringt, dass ich beim Meditieren eine rauchen kann. «Spring rein!», sagt eine Stimme in mir. Aber meine Antwort ist und bleibt: nein. Ich will nicht erfrieren, das ist flüssiges Eis, das ist tiefgefrorene Heiligkeit.
Und was ist mit dem Segen? Um welchen soll ich bitten? Um Segen ganz allgemein oder um was Spezielles? Ich stehe auf und gehe zur Quelle, ohne zu wissen, um was ich den Ganges bitten soll. Ich bücke mich zu ihm hinunter und nehme eine Hand von seinem Wasser. Ich wasche mir das Gesicht damit, und vor allem die Stirn, immer wieder die Stirn, und dabei fällt es mir ein. «Schenk mir Klarheit», bitte ich ihn.
Es geht sofort los.
Ich bin noch immer allein, und es gibt keinen besseren Augenblick, um zu kiffen. Und keinen besseren Ort. Hier wohnt der Gott der Kiffer. Selten wird Shiva ohne ein Chillum dargestellt. Die Shivaisten schließen daraus, dass der Genuss von Haschisch sie ihrem Gott näher bringt. Die Anhänger von Krishna und Vishnu denken das manchmal auch, aber nicht so ausnahmslos und nicht so fundamentalistisch. Wer Shiva folgt, sieht im Kiffen einen Grundpfeiler seines Glaubensbekenntnisses. Ähnliches sagt man über die Hippies. Ähnlichessagt man über mich. Und hier, in der von Shiva höchstpersönlich geschaffenen Himalaya-Kiffer-Kathedrale, ausgerechnet hier will ich nicht mehr? Sapperlot! Nur eine Minute nachdem ich um Klarheit gebeten habe?! Das geht echt hopphopp. Und tut überhaupt nicht weh. Die gigantische Schönheit des Augenblicks sowie die dünne Luft haben mich aller Sorgen des Alltags entrissen. Das ist nicht mit den Träumen zu toppen, die im Haschisch sind. Vielleicht täusche ich mich, wer weiß, die Leute erzählen launige Geschichten, wie Shiva hier den Ganges vom Sternenhimmel holte. Er zwang ihn aus seinem Bett in der Milchstraße und fing ihn mit seinen Haaren auf, aber Klarheit und solche Geschichten, das geht nun mal nicht zusammen, und das hab ich jetzt davon.
Ich lasse den Joint, den ich für die Quelle aufbewahrt habe, in der Tasche und meditiere noch ein bisschen, und schon kommt das nächste Ding: Ich werde nicht zu Fuß gehen. Nicht auf dem alten Pfad der Sadhus und Hirten nach Rishikesh und auch nicht anderswo. Warum? Weil ich die Schmuggler und Räuber fürchte? Nein. Weil ich Angst vor den Affen, Schlangen, Bären, Schneeleoparden, Hunden und Tigern habe? Nein. Weil ich nicht gegen Tollwut geimpft bin? Nein. Weil ich Vinod nicht vertraue? Nein. Oder weil ich grundsätzlich mein Leben nicht in die Hände eines Menschen legen will, den ich erst seit zwei Tagen kenne? Nein. Ich werde nicht die alten Wege der Sadhus und Hirten gehen, weil ich kein Sadhu und kein Hirte bin. Punkt. Und aus. Aber ich bleibe am Ganges. Das ist versprochen. Ich folge ihmvon hier bis zum Golf von Bengalen. Und drittens: Ich muss dringend ins Internet.
6. Die Ehre der Bettler I
Ein Society-Magazin mit Sitz in Zürich vertraut mir seit geraumer Zeit die Betextung seiner Leute-Seiten an. Das ist, grob gesagt, Klatsch, aber ich gebe den Versuch nicht auf, die Nachrichten aus dem Privatleben von Prominenten mit einer übergeordneten Botschaft zu verbinden. Dank Internet kann ich diese Arbeit fast überall erledigen. Sie schicken mir die fertigen Layouts mit den Fotos, ich reime was dazu. Den Unterschied, den es macht, wenn man diese Werke nicht in der Züricher Redaktion, sondern in Rishikesh formuliert, möchte ich am Beispiel von Hugh Hefner erklären.
Zur Premiere eines Films, der sein Leben zum Thema hat, erschien der neunundsiebzigjährige «Playboy»-Chef mit sieben Mitgliedern seiner
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