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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Hotels, wie sie sagen. Sie sind mächtig stolz darauf. Es ist frisch renoviert. Es sieht wirklich gut aus. Es hat sogar einen Fernseher. Es ist nur etwas stickig. Ich will deshalb ein Fenster öffnen. Der Vorhang vor dem Fenster ist zugezogen. Als ich ihn zur Seite schiebe, sehe ich, dass es sich um einen Fenster-Vortäusch-Vorhang handelt. Da ist nur die Mauer. Ich reagiere darauf, egal, wie oft ich es schon erlebt habe, mit immer derselben Mischung aus Belustigung und Entsetzen. Die Belustigung gilt der Dreistheit, die dem Hotelier-Konzept «Fake-Window» innewohnt, das Entsetzen hat mit meinen Assoziationen zu tun. Ein Zimmer ohne Fenster ist wie ein Grab mit Room Service.
     
    Glücklicherweise muss ich am nächsten Tag für meine Verhältnisse sehr früh aus dem Bett, weil Govinda darauf bestanden hat. Heute gibt’s ein Fest in Varanasi. Dev Deepavali. Fünfhunderttausend Menschen würden für den Abend erwartet, und jetzt am Morgenkämen auch schon ein paar tausend mehr als sonst an den Ganges. Ich müsse unbedingt dabei sein. Deadline ist Sonnenaufgang, also 5.30   Uhr. Ich schaffe es fast. Gegen sieben steh ich am Fluss und werde langsam wach. «Zu spät», sagt mein Guide, «die meisten sind schon weg.» Ich kenne den Mann erst seit fünf Minuten. Ich wurde von Govinda an ihn übergeben und war zu müde, um mich dagegen zu wehren. Er sieht aus, wie Inder aussehen, wenn sie bei Touristen kein Misstrauen wecken wollen. Graue Hose, weißes Hemd, kurze Haare, Schnurrbart. Sein Englisch ist recht ordentlich.
    «Als Erstes nehmen Sie mal ein Bad», sagt er.
    «Wo?»
    «Na, im Ganges.»
    Ich schaue den Mann an, als wolle er mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Er scheint die Botschaft zu verstehen und schlägt deshalb eine Bootsfahrt als Alternative vor. Das machen alle Touristen, sagt er. Sie dauert zwei Stunden. Da können Sie schöne Fotos machen.
    «Ich fotografiere nicht.»
    «Sie fotografieren nicht?!»
    «Nein, ich fotografiere nicht.»
    Das bringt ihn ein bisschen aus dem Takt. Er tut mir fast leid, aber niemals werde ich hier ein Boot besteigen. Bei 1,5   Millionen Kolibakterien pro 100   ml genügt ein Spritzer, und ich habe die Pest. Die will ich nicht. Ich will Tee.
    «Okay», sagt der Guide, «dann trinken wir Tee bei meinem Guru.»
    Es sind nur ein paar Meter, zwei, drei Gassen, undwir sind da. Der Guru sitzt vor seinem Haus in tiefer Meditation. Er trägt nur einen Lendenschurz. Seine langen Haare sind wild verfilzt, dasselbe gilt für seinen Bart. Wir warten höflich ein paar Meter abseits, bis er seine Meditation beendet hat. «Er ist ein heiliger Mann», sagt der Guide. «Er hat große Kraft. Und haben Sie vielleicht eine Marlboro für mich?» Wir rauchen, und als nach der Zigarette der Guru mit seiner Morgenmeditation noch immer nicht fertig ist, ruft mein Guide ihm etwas auf Hindi zu. Ich kann kein Hindi, aber es hört sich nach «Okay, es reicht!» an. Sofort wird der Guru wach, und ich werde ihm vorgestellt.
    «Schön haben Sie es hier», sage ich. Er wohnt in der ersten Reihe. Von seinem Haus kann man direkt auf den Ganges sehen. Haus ist im Übrigen ein wenig übertrieben. Es handelt sich um ein kleines Zimmer plus Küche und Plumpsklo. Für einen Baba ist das allerdings schon fast (unerlaubter) Großgrundbesitz. Ein Bett, ein Tisch, drei Stühle. Und überall liegen Bücher. Inzwischen trägt der mit Asche beschmierte Halbnackte eine dicke Hornbrille. Ich hatte ihm gesagt, dass ich Bücher schreibe, und er hatte darauf «ich auch» erwidert. Jetzt zeigt er mir sein Manuskript. Besser gesagt, einen Schreibblock der Marke «Lotus». Der Guru, so viel verstehe ich, hat eine schöne Schrift. Und das sind schöne Wörter. Das ist Sanskrit. Das Latein Indiens. Die alte Sprache. «Mantras», sagt er. «Du weißt, was das ist?»
    Mantras sind Wörter, die doppelt wirken. Inhaltlich wie akustisch. Sanskrit hat es fertig gebracht, dass der Klang des Wortes genau das mit dir macht, was es bezeichnet. «Shanti», zum Beispiel, heißt Frieden.Wenn du hundertachtmal hintereinander «Shanti» sagst, fühlst du den Frieden. Es ist ähnlich wie mit der Musik. Ein Ton hat Macht. Er verändert Stimmungen. Erzeugt Schwingungen. Er kann entspannen, erregen, Angst auflösen. Ich kann das bestätigen. Ich habe vor etwa drei Jahren von einem Sadhu in Nepal ein Mantra gegen Angst bekommen. Kleines Geschenk mit großer Wirkung. Was immer mich ängstigt, ob Mensch, Tier oder Türsteher, ich brauche nur

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