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Shiva Moon

Shiva Moon

Titel: Shiva Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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dieses Mantra zu murmeln, und die Angst löst sich wie Brausepulver auf. Nein, Mantras wirken hundertprozentig, das ist verbrieft, aber natürlich frage ich mich in diesem Zusammenhang auch, wie die Wörter «Coca-Cola» wirken, wenn man sie hundertachtmal hintereinander murmeln würde.
    Der Guru kocht Tee. Der Guide redet, um zu reden. Die Morgensonne fällt durchs Fenster und macht Flecken. Ein schöner Moment, aber noch nicht der euphorische, den DIESER Tag für mich bereithält. Der kommt erst, als der Mann mit dem Tee wieder bei uns ist. «Willst du rauchen?», fragt er, und weil er das fragt, obwohl ich gerade eine Zigarette rauche, ist die Botschaft klar. Kollege Baba bietet mir Haschisch an.
    Ich bin nunmehr seit vier Wochen clean, der kleine Joint in Gangotri zählt nicht. Das ist die gute Nachricht. Aber es gibt noch eine gute Nachricht. Ich habe sie vor ein paar Tagen in den «Yahoo News» gelesen, und sie hat mich ein bisschen aus dem Gleichgewicht gebracht. Kanadische Wissenschaftler haben nach zahlreichen Tests mit Ratten festgestellt, dass THC, der Hauptwirkstoff von Haschisch, Gehirnzellen nachwachsen lassen kann. Eigentlich eine sensationelle Meldung. Das würdebedeuten, dass Haschisch die einzige Droge ist, die intelligent macht. Alle anderen bauen Gehirnzellen ab. Die Forscher der Universität von Toronto drückten sich auch sehr deutlich aus: «Nach unseren Untersuchungen ist es eine gute Sache, Haschisch zu nehmen», meinte der federführende Professor. Wie gesagt, das machte mir zu schaffen. Meine politisch korrekten Vorsätze für ein neues Leben sind das eine, die Stimme der wertneutralen Wissenschaft das andere.
    «Ja», sage ich, «lass uns was rauchen.»
    «Nein», sagt der Baba, «ich rauche nicht. Aber ich kann dir was schenken.»
    Kaum hat er es mir geschenkt, erinnert mich mein Guide daran, dass in Indien ein Geschenk gewöhnlich mit einem Gegengeschenk beantwortet wird. «Natürlich kann ich dafür bezahlen», sage ich.
    «Nein», sagt der Guide, «nicht bezahlen. Gib eine Spende.»
    «Wie hoch?»
    «Zweihundert Rupien.»
    Das wirklich kleine Stück Haschisch aus den Bergen von Manali, das der Baba mir geschenkt hat, ist etwa fünfzig Rupien wert. Alles klar. Das sind nicht meine Freunde. Auch nicht meine Feinde. Das sind Leute, deren Job es ist, «friend» zu sagen.
    Zurück im Taxi, bitte ich Govinda, mich nie wieder ungefragt an irgendwelche Leute zu verscherbeln und nun unverzüglich mit der Hotel-Umzugaktion zu beginnen. Ich hatte mich schon gestern Nacht beim Studium des «Lonely Planet» für das «Hotel Haifa» entschieden und bin, nachdem ich dort schließlich eingecheckt habe, auch sehr zufrieden. Zentrale Lageam Assi Ghat, sauber, geschmackssicher, motivierter Room Service, und jedes Zimmer hat Fenster. Meines hat sogar einen Balkon, nein, sogar zwei. Von dem einen schaut man auf die Hauptgasse der Altstadt und auf einen Tempel, von dem anderen Balkon sieht man auf einen Hinterhof, in dem auch ein (kleiner) Tempel steht, was aber in Varanasi noch nicht als Tempel-Overkill gilt, weil es in dieser Stadt eintausendfünfhundert Tempel und religiöse Kultstätten gibt. Im «Haifa» bin ich mittendrin. Aber mittendrin mit soliden Türen und soliden Schlössern. Nachdem ich das Zimmer abgeschlossen habe, gehe ich ins Bad, um das wichtigste Gespräch dieses Tages zu führen. Ich sehe in den Spiegel. «Willst du das wirklich?», frage ich. Mein Spiegelbild nickt.
    Nach vier Wochen Entzug wirkt der erste Joint dann folgendermaßen: Ich liege auf dem Bett, und mein Körper fühlt sich wie eine Wüste an, in die sich plötzlich Wasser ergießt, am Kopf beginnend abwärts, von Muskel zu Muskel, von Organ zu Organ, durch die Adern, durchs Gewebe, jede Zelle meines Körpers nimmt teil an dem TH C-Wellenbad . Seufzend entspanne ich total. Gleichzeitig bin ich auch sofort wieder bereit, in dem Tempeldach vor dem Balkon irgendetwas zu sehen, das Sinn hat. Mehr noch: Über-Sinn. Ein Tempeldach im gleißenden Licht der Mittagssonne kommuniziert mit meiner Seele. Dann passiert etwas. Ich sage, hör mal, kann es sein, dass es die Seele des Haschisch ist und nicht deine, die gerade eins mit dem Dach des Tempels wird? Kann es sein, dass du überhaupt keine Seele hast, sondern sie dir nur anrauchst? Kann es sein, dass alles, woran du geglaubt hast, nurdurch THC zustande kam? Dann ist es keine Realität und damit keine Wahrheit. Dann ist Shiva der Gott der Junkies. Ich blocke deshalb die spirituelle

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