Shiva Moon
wie Al Pacino abzieht, ist er mein Mann. Jetzt hab ich’s, an wen er mich erinnert. Er sieht tatsächlich wie Al Pacino aus. Ein bisschen dünner, ein bisschen indischer, aber sonst ganz der gute alte Al. Ich frage, ob ich ihn so nennen darf, aber das verbittet er sich. Er findet Robert De Niro besser. Charlotte gibt ihm Recht. «Al Pacino ist was für Schwule», sagt sie. Und dann kommt auch schon die Madame des Hotels.
Das «Fairlawn» ist ein Klassiker. «City of Joy» wurde in ihm gedreht, weil es wie ein Film aussieht. Aber auch wie ein Roman. Man wohnt in der Geschichte jener Tage, in denen britische Offiziere hier nach dem Rechten sahen und britische Ladys damit beschäftigt waren, ihre Gesichter weiß zu halten. Madame, die über achtzig ist, tut das noch immer. Sie hat sich ein knallweißes Puppengesicht geschminkt. Ihr Mann, mit dem sie das «Fairlawn» sechzig Jahre führte, starb vorzwei Jahren. Sie stirbt nie, fürchten ihre indischen Angestellten. Madame ist ein Drachen, sagen sie. Aber zu mir ist sie süß.
«Junger Mann», flötet sie, «ich hoffe, Sie wohnen bei uns?»
«Leider nein. Ihr Rezeptionist sagte, es sei nichts frei.»
«Ach, die bösen Inder.»
«Können Sie ihn manipulieren?»
«Ich fürchte, nein.»
Außer dem guten Gefühl, dass es immer noch Frauen gibt, für die ich ein junger Mann bin, hat das Gespräch mit Madame also nichts gebracht. Ich werde mit Rajas Hotel vorlieb nehmen müssen, er hat das Zimmer inzwischen klargemacht. Ich erkundige mich trotzdem nach ihren Hunden. Zwei Pudel, bizarr rasiert, immer mit Schleifchen. Madames Schminke bricht. Sie sind gestorben, die süßen Kleinen. Erst der Mann, dann die Hunde, ihr bleibe nur der Ärger mit dem Personal. Ob ich heute Abend wiederkomme? Ein Bier trinken? Gern auch zwei, sage ich, und jetzt klimpert ihr Auge. Wenige Minuten später schleppen zwei ihrer Angestellten Madame weg. Richtung Mittagsschläfchen.
Zurück zum Ganges. Morgen können wir nicht fahren, weil morgen Sonntag ist. Raja hat Familie. Also übermorgen. Okay, sage ich, dann geh ich morgen ins Kino. In was für einen Film? «Hanuman». Den will er auch sehen. Es ist der bislang aufwendigste Zeichentrickfilm Bollywoods, und Hanuman ist ein Affengott, ein Sohn des Windes. Darum kann er fliegen, er kann sich aber auch verwandeln, und er hat unermesslicheKräfte. Er steht für Hingabe und absolute Treue. Um zu beweisen, dass sein Herz nur für Rama schlägt, reißt er sich eigenhändig die Brust auf. Ehrlich gesagt, interessiert mich die Geschichte nicht sonderlich, mich interessiert, wie der Film entstanden ist.
Vor zehn Jahren habe ich in New Delhi einen Juden aus Beverly Hills getroffen, der 1968 nach Indien kam und dann Indien nie wieder verlassen hat. Er ist ziemlich schnell ein Adjun Akhara geworden, ein Baba im härtesten Sadhu-Orden. Er war der erste Nichtinder, den sie aufgenommen haben. Sie gaben ihm einen neuen Namen: Sitaram. Und einen Spitznamen: Blue Eye Baba. Nach fünfundzwanzig Jahren Askese, Meditation und magischen Ritualen kam Blue Eye Baba eine Idee, und er schrieb sie auf. Ich habe in das Drehbuch hineingelesen, als wir uns in Delhi begegneten. Hanuman als Zeichentrickfilm. Aber Großproduktion. Hollywood, wenn’s geht. Er hatte schon mit Produzenten gesprochen. Ich sagte ihm damals, mit Indern müsste es auch klappen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Aber jetzt sehe ich überall die Plakate von seinem Film. Und ich will wissen, ob es noch sein Film ist. «Ich glaube nicht», meint Charlotte. Und Raja glaubt es auch nicht. Warum? Was habt ihr? Könnt ihr euch nicht vorstellen, dass ein mit Asche beschmierter halb nackter Asket kalifornischer Herkunft ein goldenes Ei legt? Ein fettes goldenes Ei. Das Ei seines Lebens. Vielleicht hat er sich dafür ein Vierteljahrhundert kasteit.
Es ist auffällig, wie angeregt und vor allem vertraut wir miteinander reden, obwohl unsere Bekanntschaft erst vor dreißig Minuten begann. Raja will das auf diemetaphysische Ebene heben, es gibt Menschen, die MÜSSEN sich treffen, aber ich halte dagegen, dass man es auch gastronomisch erklären kann. Wir sind Menschen, die das «Fairlawn» lieben.
Wer das «Fairlawn» liebt, der liebt auch französische Filme und irischen Whiskey und Mutter Teresa. Ich habe mal eine Geschichte über ihr Haus der Toten gemacht, und an den Abenden hab ich im «Fairlawn» mit den ehrenamtlichen Engeln der Mission ein Bier gestemmt. Junge Spanierinnen, die nach Kalkutta
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