Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
verließ sich dabei auf seinen alten Freund, den Zorn, der ihm helfen würde.
Denn er war wirklich zornig.
Wütend und rachedurstig.
Er begann, mit dem Messer das Klebeband an seinen Handgelenken durchzusäbeln.
Komm nur, du Mistkerl
, dachte er dabei, und die Wut schäumte in seinen Adern,
ich werde dich erledigen
.
Schwester Maria wurde grob hochgezogen.
Die Hände waren ihr auf dem Rücken gefesselt, aber ihr Angreifer hatte das Klebeband an ihren Füßen durchgeschnitten und ihr die Augenbinde abgenommen. Und er hatte ihr den Rosenkranz um den Hals gehängt.
»Beweg dich«, knurrte er hinter seiner Mütze.
Sie war so benommen und schwach, dass sie kaum gehen konnte. Die Mündung des Revolvers in ihrem Rücken und das Drängen des brutalen Mannes ließen sie vorwärtstaumeln, durch die Dunkelheit. Wohin? In den sicheren Tod?
Der Mann leuchtete mit dem schwachen Strahl einer Taschenlampeden feuchten Boden vor ihr aus. Totes Laub bildete einen Teppich über dem nassen Sumpfland. Zypressen erhoben sich, bleich wie Gespenster, ihre Wurzeln warfen den Boden auf. Maria hatte keine Ahnung, an welchen Ort in den Sümpfen von Louisiana der Mann sie gebracht hatte.
Vater unser im Himmel …
Er richtete den Lichtstrahl auf ein Gebäude, nein, auf einen Wohnwagen, der schon seit langer Zeit leer zu stehen schien. Er war verrostet, die Fenster waren herausgeschlagen, das Vordach war nur noch ein Haufen verrotteter grauer Bretter.
Maria stellte sich die widerlichen Dinge vor, die er ihr antun würde, die Schmerzen, die sie würde ertragen müssen, und sie nahm ihr Schicksal an, betete um Kraft, um Tapferkeit, damit sie nicht zusammenbrach.
Er stieß sie zwei unregelmäßige Stufen empor, und sie betrat das dunkle Innere des Wohnwagens. Der Mann drückte ihr immer noch den Lauf der Waffe in den Rücken und zündete jetzt eine Laterne an.
Aller Mut verließ sie beim Anblick des winzigen, verdreckten und vernachlässigten Raums. Es roch modrig.
Auf einem Stuhl in der Ecke gegenüber, die Füße an die rostigen Metallbeine gefesselt, die Hände auf dem Rücken, saß Billy Zachary Furlough. Er war nackt, seine Augen waren verbunden, sein Mund verklebt.
»Nein!«, schrie Maria auf. Das Wort kam nur unverständlich hervor, behindert durch das Klebeband vor ihrem Mund. Trotz der Revolvermündung in ihrem Rücken beugte sie sich nach vorn und begann zu würgen.
»Scheiße!« Ihr Angreifer riss ihr den Klebestreifen vom Mund. Im selben Moment entleerte sich ihr Magen.
Wie konnte das sein? Vater im Himmel, nein!
Sie schluchzte, weinte, war vollkommen verzweifelt.
Nein! Nein! Nein!
Tränen strömten über ihr Gesicht, und sie würgte krampfhaft, immer wieder. Sie merkte nicht, dass ihr Entführer nicht mehr hinter ihr war.
Dass er nun in der Nähe ihres einzigen Kindes stand.
Bei allen Heiligen, wie konnte das Monster das wissen? Was wollte er von ihr? Schwester Maria keuchte und hustete und sah hinüber zu dem vermummten Mann, der sie entführt hatte und sich nun voller Stolz vor ihrem Sohn aufbaute.
Sie durfte das nicht zulassen. Was immer sein abartiger Verstand ausgetüftelt hatte, sie würde nicht zulassen, dass er ihrem Sohn etwas antat, dem Baby, das sie vor so vielen Jahren fortgegeben hatte …
»Tun Sie es nicht«, flehte sie. »Bitten Sie Gott um Vergebung und hören Sie auf zu sündigen.«
Sein Körper erstarrte. »Ich bin nicht der Sünder«, sagte er langsam und nahm Billy Zachary die Augenbinde ab.
Billy Zachary schaute Maria aus glasigen Augen an, und ihr wurde klar, dass auch er bereits hatte leiden müssen. Sie wollte seine Nacktheit nicht sehen, sondern nur in seine dunklen Augen blicken, die denen seines Vaters so ähnlich waren, des Jungen, den sie in ihrer Jugend gekannt hatte, des Mannes, der schon lange tot war.
»Ihr kennt euch«, sagte der Entführer mit rauer, zufriedener Stimme, und zu ihrem Entsetzen registrierte Maria, dass ihr einziges Kind plötzlich verstand. Dass ihr Geheimnis irgendwie gelüftet worden war.
»Mutter und Sohn.«
Heilige Maria, Muttergottes
.
»Beide eine gelebte Lüge.«
Billy Zacharys Blick heftete sich auf den Entführer, und Mariabemerkte, wie sich etwas in seinen Zügen veränderte, wie der Zorn seine Nasenflügel blähte, seine Augen schmal werden ließ.
Da wusste sie, dass er etwas Dummes, etwas Gefährliches tun würde. Sie musste es verhindern.
Sie wollte ihn retten. Selbst wenn sie dafür töten musste. Mord war eine Todsünde … Ihre Seele
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