Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
durch einen tiefen Tunnel von weither.
»Lieber Gott. Ich – ich dachte an einen Verkehrsunfall …«
Spontan fiel sie zurück in eine Gewohnheit aus ihrer Jugend und bekreuzigte sich automatisch, während die Nachricht langsam in ihrem Gehirn Fuß fasste. Es begann, in dicken Tropfen zu regnen. »Wer?«, fragte sie. »Und warum?«
»Das wissen wir noch nicht.«
»Oh, mein Gott.« Sie hob den Blick zum Himmel, ohne auf die Regentropfen zu achten, die auf ihre Wangen prasselten und an ihrem Hals herabliefen.
»Ms. Chastain …«, sagte er und wies auf die Veranda.
Sie sah ihn an, sah die Wassertropfen, die ihm in den Kragen rannen und die Schultern seines Hemdes schwarz färbten.
»O ja … natürlich«, sagte sie, als ihr endlich bewusst wurde, dass sie beide im Begriff waren, nass bis auf die Haut zu werden. »Gehen wir hinein.« Benommen steuerte sie auf die Garagentür zu und tippte die Codenummer in die elektronische Vorrichtung ein. Ein Signal blinkte auf und meldete einen Fehler. Sie versuchte es noch einmal. Das Wasser gurgelte bereits in den Gullys, Tropfen hingen in Abbys Wimpern. Wieder blinkte das Lämpchen auf, und die Tür öffnete sich nicht. »Verdammt«, schimpfte sie. Nach dem dritten Versuch hob sich das schwere Tor geräuschvoll, und noch bevor es zum Stillstand kam, hatte sie sich darunter hindurch geduckt und betrat die Garage. Tropfnass zwängte sie sichzwischen ihrem Honda und Regalen voller Farbdosen, Gartengeräten und Säcken mit Katzenstreu hindurch, schleuderte ihre Schuhe von sich und öffnete die Tür zur Küche. Dicht gefolgt von Montoya eilte sie zum Spülbecken, drehte den Hahn auf und bespritzte ihr Gesicht mit Wasser.
Luke war tot. Tot!
Sie konnte es nicht fassen. Alles erschien ihr so surreal, so verschwommen …
Sie nahm ein Geschirrtuch vom Küchentresen und wischte sich das Gesicht trocken, und währenddessen hämmerten immerzu die Worte
Luke ist tot! Luke ist tot! Luke ist tot!
in ihr Gehirn und verursachten ihr bohrende Kopfschmerzen.
»Ist alles in Ordnung?« Montoyas Stimme klang weich. Als ob er sich Sorgen um sie machte, ihre Gefühle teilte. Er hatte so etwas sicher schon oft tun müssen. Einige Dutzend Male vermutlich. War daran gewöhnt, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. Trotzdem entging seinen braunen Augen nichts. Sexy und dunkel registrierten sie jede ihrer Reaktionen. Abby spürte es und war misstrauisch. Auf der Hut.
»In Ordnung?«, wiederholte sie. »Nein. Bei mir ist ganz eindeutig
nichts
in Ordnung.« Sie schüttelte den Kopf, spürte, wie ihr nasser Pferdeschwanz ihre Schultern streifte, lehnte sich, eine Stütze suchend, mit der Hüfte an den Küchentresen und bot Montoya das Geschirrtuch an.
»Nein, danke. Es geht schon.«
»Ich kann es nicht glauben«, fuhr sie fort und faltete das Tuch zusammen. »Ich weiß, das habe ich schon einmal gesagt, aber es ist verdammt schwer zu akzeptieren.« Ihr Puls beruhigte sich, aber sie war immer noch benommen und wie vor den Kopf geschlagen. »Ich meine … wir haben erst neulich Abend noch miteinander geredet.« Sie dachte an denStreit wegen Lukes Sachen, die sie weggegeben hatte, und ihr Gesicht, das, wie sie mit Sicherheit wusste, alle Farbe verloren hatte, wurde plötzlich glühend rot. Schmerzhaftes Bedauern durchzuckte sie bei dem Gedanken, dass ihre letzten Worte an Luke vorwurfsvoll und im Zorn gesprochen worden waren. Geistesabwesend faltete sie das Geschirrtuch noch einmal neu zusammen.
»Worüber haben Sie geredet?« Offenbar aus dem Nichts zauberte er plötzlich einen Notizblock hervor.
»Oh …« Sie atmete hörbar aus und zuckte mit den Schultern. »Wir haben gestritten. Natürlich. Wir haben uns ständig gestritten. Konnten offenbar mit der Scheidung nicht richtig umgehen. Dieses Mal ging es um die Sachen, die er hier zurückgelassen hatte, nachdem er ausgezogen war. Er war sauer, weil ich sie weggegeben hatte.«
Sie wandte den Blick ab, wollte nicht in seine wissenden Augen schauen. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie gut überlegen musste, was sie diesem gewissenhaften Mann gegenüber äußerte. Er war kein Freund, kein Priester, nicht einmal ein Bekannter. Er war Polizist. In den Händen hielt sie das Geschirrtuch. Wie oft hatte sie es inzwischen gefaltet, wieder ausgeschüttelt und neu gefaltet? Vier Mal? Fünf Mal? Sie war sich nicht bewusst gewesen, was sie tat.
»Wie auch immer, es war uns unmöglich, miteinander auszukommen.«
»Haben Sie Kinder?«
Abby
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