Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
Kleine«, weinte sie. Montoya blickte die geschwungene Treppe hinauf, wo ein goldgerahmtes Bild eines lebensfrohen, hübschen Mädchens hing. Strahlende blaue Augen, goldene Locken, die bis über die Schultern hingen, Wangengrübchen und ein bezauberndesLächeln. Ein sehr schönes Mädchen. Vor seinem inneren Auge erschien unwillkürlich das weibliche Opfer mit dem aufgedunsenen Gesicht und der wächsernen Haut, und ihm wurde übel.
»Es tut mir sehr Leid«, sagte Montoya aufrichtig. Dies hier war das Schlimmste an seinem Beruf. Das Allerschlimmste. Er befasste sich lieber mit den Toten, statt die Lebenden über den Verlust eines geliebten Menschen in Kenntnis zu setzen. Besonders, wenn es sich um ein Kind handelte. »Laut Ausweis heißt sie Courtney Regina …«
»Sie wird Mary gerufen. Schon immer, seit sie alt genug war, sich für diesen Namen zu entscheiden. Das war irgendwann in der vierten oder fünften Klasse, glaube ich«, erklärte Clyde, der Vater. Clyde LaBelle, groß, kräftig gebaut, mit geröteten Wangen über einem kurz geschnittenen silbrigen Bart, der zu seinem schütter werdenden Haar passte, schien vor Montoyas Augen zu altern. Er ließ die Schultern hängen und wurde blass.
»In der dritten. Schwester Penelope war damals ihre Lehrerin«, berichtigte Virginia, die sich heftig blinzelnd gegen die Tränen wehrte. Ihre Miene verriet Unwillen.
»Sie sind sicher, dass es sich um unser Kind handelt?«, fragte Clyde leise.
»Ja, aber ich brauche jemanden, der die Leiche identifiziert.«
Courtneys Mutter stieß wieder einen durchdringenden Klagelaut aus. »Es kann nur ein Irrtum sein!«
»Das übernehme ich.« Ein Muskel zuckte in Clydes Wange, und Montoya sah, wie er sich gerade aufrichtete.
»Es kann nicht sein, es kann einfach nicht sein«, flüsterte Virginia.
»Schschsch, Liebling … schsch.« Clyde drückte seine Lippenin ihr Haar, doch er verkniff sich die bequeme Lüge, dass alles wieder gut werden würde.
Denn nichts würde gut werden. Dieses Paar würde für den Rest seines Lebens um seine Tochter trauern, und nichts anderes würde jemals zählen. Alles, wofür sie gearbeitet, alles, was sie sich erträumt hatten – dieses stattliche alte Haus, das gepflegte Grundstück, der silbergraue Cadillac in der Einfahrt –, all das würde in die Bedeutungslosigkeit versinken.
»Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen«, riet Clyde seiner Frau, doch sie wollte nichts davon hören.
Mit einem langen manikürten Finger strich sie unter ihren Augen entlang und flüsterte: »Ich will hören, was der Officer zu sagen hat. Es stimmt nicht, natürlich nicht, aber ich muss es hören …«
»Ginny, Detective Montoya wäre niemals hergekommen, wenn er nicht ganz sicher wäre, dass …«
»Aber es kann nur ein Irrtum sein!« Sie atmete tief durch und befreite sich aus dem Griff ihres Mannes. Sie war unsicher auf den Beinen, hielt sich jedoch aufrecht und straffte plötzlich den Rücken, als hätte sie einen Stock verschluckt.
»Lassen Sie mir bitte einen Augenblick Zeit.« Während sie sich ins Haar fasste, als fürchte sie plötzlich, ihre Frisur sei in Unordnung geraten, schritt sie in Richtung Bad. Ihre goldfarbenen Sandalen klickten auf dem Marmorboden.
»Ich bin Psychiater«, sagte Clyde. »Ich werde ihr etwas geben, das sie beruhigt.« Nervös richtete er den Blick auf die geschlossene Tür zum Bad. »Und ich werde unseren Gemeindepfarrer anrufen. Father Michael wird sie trösten können.«
Montoya entdeckte ein holzgeschnitztes Kreuz über dem bogenförmigen Durchgang zum hinteren Teil des Hauses. Eine schwere, in Leder gebundene Bibel lag gut sichtbar aufeinem kleinen Beistelltisch am Fuß der Treppe. Die Eingangshalle ging über zwei Stockwerke, und auf der Höhe des ersten Stocks war eine Galerie angelegt, auf der weitere Bilder der einzigen Tochter der LaBelles ausgestellt waren.
Die Tür zum Bad öffnete sich wieder, und Virginia LaBelle erschien, mit sorgfältig korrigiertem Make-up und von Haarspray starrer Frisur. Sie brachte ein trauriges Lächeln zustande, das ihre Augen nicht erreichte. »Officer, würden Sie mir bitte in den Salon folgen.« Ihre Stimme zitterte, und sekundenlang schien sie erneut die Fassung zu verlieren, doch sie zupfte nur an ihren Ärmelaufschlägen und sagte: »Wir sollten über diese Sache reden. Ich bin überzeugt, dass es sich um einen entsetzlichen Irrtum handelt.«
Clyde tauschte einen Blick mit Montoya, folgte seiner Frau jedoch in ein
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