Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
hatten sie sich aber geirrt.
Nichts war je vergessen.
Und auch nicht vergeben.
Diese wertvolle Lektion hatte seine Mutter ihn gelehrt.
Er zündete noch eine Laterne an und bog um eine Ecke. Mit seinem Schlüssel öffnete er eine letzte Tür und trat in den fensterlosen Raum, in dem seine Habseligkeiten untergebracht waren. Er entzündete Kerzen und ging zu dem kleinen Sekretär mit den Guckloch-Fächern hinüber. Er war nicht abgeschlossen. Er betätigte einen Hebel und sah zu, wie sich die Arbeitsplatte senkte und verborgene kleine Fächer freilegte, perfekte Verstecke für seine Schätze. Aus der Hosentasche kramte er einen Ring, einen schmalen Goldreifen mit einem blitzenden roten Stein. Sekundenlang rieb er ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, spürte die Wärme, dachte an das Mädchen, das ihn getragen hatte. Es brachte sein Blut in Wallung, und er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie war so wunderschön gewesen … so arglos. Er bemerkte das Blut an dem Goldreifen. Ihr Blut. Umso besser.
Er durchlebte noch einmal den Moment, als er ihr die Pistole in die Hand gezwungen und abgedrückt hatte, spürte ihr festes, rundes Hinterteil an seinem Unterleib und dann, wie sie niedersank, als der Tod kam.
Sie war so verängstigt gewesen, und er wusste, dass er sie sich hätte unterwerfen können. Nur mit äußerster Mühe hatte er diesen Drang niedergekämpft. Ihre Gesäßbacken hatten sich so innig und intim an seinen steinharten Schwanz geschmiegt … Sie zu besteigen, wäre ein Leichtes gewesen. Sich ihres jungfräulichen Körpers zu bemächtigen, eine Wohltat. Er hatte sich vorgestellt, sein Glied in ihre enge kleine unberührte Möse zu rammen, diese hauchzarte Barriere zu durchbrechen, die das Kind von der Frau trennte.
Aber es wäre nicht richtig gewesen.
Hätte all seine sorgfältig ausgeklügelten Pläne ruiniert.
Jetzt, als er an ihren warmen, zitternden Körper dachte, wurde er wieder hart und es drängte ihn, sich Erleichterung zu verschaffen.
Doch er wusste, dass diese Qual Teil seiner eigenen Buße war.
Langsam atmete er aus, bemerkte, dass der Ring, den er krampfhaft umklammert hielt, seine Haut geritzt hatte, und schalt sich innerlich. Die Zeit war nicht reif. Noch nicht.
Erbost über seine eigene Schwäche legte er den Goldreif in ein gesondertes Fach, zog dann die Armbanduhr aus der Tasche und platzierte das kostbare Stück neben dem Ring.
Perfekt, sagte er zu sich selbst. Die Kerzen brannten herunter, im Flur tropfte Wasser. Das hier war der erste Schritt, doch die Vollendung war noch fern. Sein Werk benötigte Zeit – so viele mussten noch bezahlen! Aus einem der oberen Fächer nahm er ein schwarz gebundenes Fotoalbum und begann, langsam Seite für Seite mit den gestellten Fotos, den Zeitungsausschnitten, Schnappschüssen und Zeitschriftenartikeln umzublättern.
Mit einem Lächeln betrachtete er die Bilder und las die Texte, die er schon lange auswendig kannte. Das Lächeln erlosch,als er bei Faith Chastains Foto angelangt war, einer Atelieraufnahme in Schwarzweiß, auf der sie beinahe wollüstig in die Kamera blickte. Er berührte das Foto, folgte mit dem Finger ihrer Wangenlinie. Ihm wurde eng in der Brust, als er sie sich im Leben vorstellte. Und im Tod.
Verärgert klappte er das Album zu und schob es zurück an seinen Platz im Sekretär. Dann schlug er die Arbeitsplatte zu. Für so etwas hatte er jetzt keine Zeit. Auf ihn wartete noch viel Arbeit.
Die Toten neulich nachts waren erst der Anfang.
6.
A lle hier bei WSLJ stehen unter Schock«, sagte der Diskjockey, »uns allen wird Luke Gierman fehlen. Immerhin war er bei uns so etwas wie eine Legende …«
Erbarmen, dachte Abby.
»… als Erinnerung an Luke und seinen Beitrag zur Durchsetzung der Redefreiheit hat WSLJ beschlossen, einige von seinen Sendungen zu wiederholen, und wir wüssten gern von euch, welche ihr am liebsten hören möchtet. Ruft uns an oder besucht uns auf unserer Website.« Der DJ rasselte ein paar Telefonnummern und die Web-Adresse mit solcher Begeisterung herunter, dass Abby übel wurde. Sie schaltete das Radio aus.
»Jetzt wollen sie ihn also heilig sprechen«, sagte sie zu Ansel, der auf der Rückenlehne des Sofas hockte und mit hungrigem Blick einen Kolibri im Vogelhäuschen fixierte.
»Unglaublich. Was meinst du, dadurch bekommt der heilige Lukas einen ganz neuen Stellenwert, oder?«
Trotz ihrer spöttischen Worte empfand Abby noch immer tiefes Bedauern wegen ihres letzten Gesprächs mit
Weitere Kostenlose Bücher