Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
hätte, sie zu benutzen, sie auf einen Einbrecher zu richten und abzudrücken.
Ohne irgendwo Licht zu machen, ging sie noch einmal zu der Tür, die zum Atelier führte, und fand sie verschlossen vor. Ihr drohte keine Gefahr. Oder? Eilig lief sie zurück in die Küche. Sie lugte in Richtung Atelier – und sah durch den Lichtschein der Sicherheitsleuchte an dem kleineren Gebäude einen Schatten gleiten.
Ihr blieb beinahe das Herz stehen.
Sie stand wie erstarrt, rechnete halb damit, dass jeden Moment das Gesicht eines Mannes auf der anderen Seite des Fensters auftauchte, kaum einen Zentimeter von ihr entfernt, getrennt nur durch eine dünne Glasscheibe.
Aber nichts geschah. Kein Gesicht erschien. Keine dunkle Gestalt huschte durch ihr Blickfeld. Der Schatten, den sie gesehen hatte, kam nicht zurück.
Reiß dich zusammen, Abby
.
Da draußen ist niemand
.
Keine Menschenseele
.
Der Hund knurrte wieder, und Angst überfiel sie, schwarz wie die Nacht.
Mit der Angst kamen böse Vorahnungen.
Sie ahnte, dass das, was mit Lukes Tod begonnen hatte, noch lange nicht vorüber war.
9.
S imón!«, rief Schwester Maria und lächelte und winkte, als sie ihren Neffen entdeckt hatte.
Schon in der Eingangshalle des Klosters fühlte sich Montoya fehl am Platze. Als er nun bei seinem Firmnamen gerufen wurde, verstärkte sich die Empfindung noch. »
Tia
Maria.«
»Welch eine Überraschung!« Sie schob ihren Arm unter seinen und drückte ihn an sich. Seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie gealtert. Ihre vormals frische Haut war nun faltig, die Lippen waren schmal, die Hände mit Altersflecken übersät, doch sie wirkte kraftvoll, und ihre Augen sprühten vor Lebensfreude. »Los, komm, wir setzen uns in den Garten, dann kannst du mir erzählen, was dich zu mir führt. Zwar würde ich mir gern einbilden, du hättest Sehnsucht nach deiner alten Tante gehabt, aber ich habe das Gefühl, dass mehr hinter deinem Besuch steckt.« Sie lächelte Montoya an, und ihm fiel ein, dass sie ihn geneckt hatte, solange er denken konnte.
Maria führte ihn durch einen langen Flur, vorbei an verzierten Sprossenfenstern, die nur wenig Licht einließen. Am Fuß eines holzgeschnitzten Treppenhauses stieß sie die Tür zu einem Garten auf, in dem die Blumen in den großenBetonkübeln bereits zu welken begannen. Die Fontäne eines Springbrunnens in der Mitte ergoss ihr Wasser über einen Engel, der zwei Gefäße hielt, aus denen das Wasser in einen großen rechteckigen Teich floss. Seerosen blühten auf der Oberfläche, Goldfische huschten im schimmernden Wasser umher.
Maria setzte sich mit Montoya auf eine steinerne Bank im Schutz des Kreuzgangs. Wenn er genau hinsah, entdeckte er in ihrem Gesicht noch die Züge des Mädchens, das sie einmal gewesen war, eine verängstigte junge Frau, die, wie er aus dem Klatsch seiner Angehörigen wusste, mit noch nicht einmal zwanzig Jahren schwanger wurde. Wer ihr Geliebter gewesen war, blieb ihr Geheimnis. Sie hütete es nun schon bald vierzig Jahre lang, und was aus dem Kind geworden war, hatte Montoya den Gesprächen zwischen seiner Mutter und seiner Schwester nie entnehmen können. Maria hatte nicht geheiratet. Stattdessen war sie diesem Nonnenorden beigetreten, in dem sie Zuflucht, Trost und vermutlich Vergebung gefunden hatte.
Während sich am Himmel Wolken zusammenballten und der Wind das Spanische Moos an den hohen Eichen vor den Kreuzgangmauern zerzauste, plauderten sie eine Weile lang über die Familie, tauschten Neuigkeiten über Verwandte aus und lachten bei der Erinnerung daran, wie Schwester Maria ihren Neffen mit seiner ersten Freundin erwischt hatte.
»Aber jetzt bist du ja erwachsen«, sagte sie und hob den Kopf, um ihn anzusehen. Der Saum ihres Schleiers fiel über ihre Schulter. »Und hast du dir endlich verziehen, was deiner … Freundin zugestoßen ist?«
»Ich bin nicht wegen Marta gekommen«, entgegnete er ruhig. Eine Wolke schob sich vor die Sonne.
»Nein? Warum bist du dann hier, Simón? Hat es mit dem geplanten Abriss des Krankenhauses zu tun?«
»Maria, ich heiße Reuben. Manchmal nennt man mich auch bei meinem zweiten Vornamen, Diego. Aber niemand nennt mich Simón.«
»Nur ich«, versetzte sie lächelnd. »Und daran wird sich nichts ändern. Es ist ein guter Name. Simón – Simon der Zelot – ist mein Lieblingsheiliger.« Sie lächelte. »Du weißt, was man über einen alten Hund sagt.«
»Ich glaube, du könntest durchaus noch ein paar neue Kunststücke lernen,
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