Shoal 01 - Lichtkrieg
ermahnte es sie auch, dass sie weniger wert war als sämtliche anderen wirklichen Bewohner der Stadt.
Sie stolperte, außerstande, diese Wahrheit zu akzeptieren; sie kam sich so verloren vor, dass sie Geistertränen weinte, gequält von dem Gedanken, versagt zu haben. Dann streckte sie die Arme aus, bis ihre Finger eine Wand berührten, die die Farben feinsten Alabasters hatte. Unter ihren Fingerspitzen breiteten sich mit verblüffender Geschwindigkeit schwarze Risse aus; die Wand fing an zu bröckeln, löste sich auf und nahm eine dunkle Färbung an.
Tief in Dakotas Innerem verbargen sich eine Schwärze und eine Leere, die nicht in diese vollkommene Umgebung passten. Um sich hier heimisch zu fühlen, musste sie zuerst beweisen, dass sie würdig war, von diesem beglückenden Licht beschienen zu werden.
Erst wenn sie reinen Herzens war, durfte sie sich in die Schar der Seligen einreihen und sich an dem Glanz wärmen, der sie liebte und zugleich über sie richtete.
Das Landungsschiff rüttelte heftig, als es über Redstones öde Landschaft schoss. Von einigen der anderen Maschinenkopf-Piloten, einschließlich Severn, trafen Notsignale ein. Durch die Ghost-Links konnte sie seine Angst beinahe schmecken.
Chris?
Keine Antwort. Stattdessen brach der Kontakt zu ihm ab, und auch die Links zu drei weiteren Piloten wurden gekappt. Panik übermannte Dakota. Irgendetwas ganz Fürchterliches musste passiert sein. Ein Prioritätsbefehl aus der Zirkusmanege blitzte auf; man hatte das Problem bemerkt und änderte demzufolge die aktuelle Angriffsformation.
Das alles ergab keinen Sinn. Die neuen Formationsprotokolle, die man laufend auf ihren Ghost übertrug, sollten nur angewendet werden, wenn eines ihrer Schiffe verloren ging. Doch sämtliche Landungsschiffe in ihrer Formation befanden sich nach wie vor auf allen Sensorsystemen. Was sollte sie tun?
Zwei weitere Maschinenköpfe verschwanden aus ihrem Ghost-Link. Etwas, das noch schlimmer war als Panik, ergriff von Dakotas Körper Besitz; unter ihrer Pilotenmontur brach ihr der kalte Schweiß aus. Vielleicht waren Severn und ihre übrigen Kameraden längst tot, und die Uchidaner täuschten sie mit falschen Telemetriedaten, um ihr vorzugaukeln, sie seien noch im Verbund.
Unentwegt schickte sie Notrufe an die Zirkusmanege, an das Orbitalkommando und an die anderen Landungsschiffe, während die Informationen, die Hinweise auf Gefahren gaben, immer weniger wurden und schließlich ganz aus dem Ghost-Link verschwanden. Als ihre Alarmsignale dann bestätigt wurden und Antworten eintrafen, waren deren Inhalte seltsam verzerrt und unverständlich, als hätte sie über Nacht vergessen, wie man eine simple menschliche Sprache versteht.
Und dann sah sie einen Engel, der über den Horizont schritt, eine goldene, fürchterliche und wunderschöne Erscheinung. Dasselbe Wesen, das ihr im Traum begegnet war und nach dem sie später gesucht hatte.
Er bewegte sich unterhalb der silbernen Pfeile der Eingreiftruppe des Konsortiums, die Schwingen gespreizt wie ein riesiger weißer Schleier, der sich über den rötlich gesträhnten Morgenhimmel ausbreitete. Die Größe des Engels mochte vielleicht einen Kilometer betragen, und in einer gigantischen Faust trug er ein Schwert, aus dem Blitze zuckten. Dakota wusste, wenn dieses Wesen tötete, dann voller Mitleid und Gnade.
Einen herrlicheren Anblick hatte sie nie gesehen.
In ihrem Hinterkopf plapperte eine fremde Stimme in einer Sprache, die sie seltsamerweise verstand, obwohl sie ihr nicht vertraut war; sie merkte, dass es dieselbe Sprache war, in der der Engel sich ihr im Traum mitteilte. In diesem Moment fiel ihr all das wieder ein, was sie nach dem Aufwachen vergessen hatte. Sie erinnerte sich an die Wahrheit, die in Uchidas Oratorium enthalten war. Die Erleuchtung war so absolut, dass sie selbst in der Luft zu schweben schien, die sie einatmete, in den dahinrasenden Elektronen und in den Quantenanordnungen, die in ihren Ghost-Schaltkreisen steckten – das gesamte Universum war von dieser Erkenntnis durchdrungen.
Uchidas Wahrheit erfüllte sie mit einem ungeheuren Jubel und einem schmerzlichen, überwältigenden Bedauern, weil sie so lange blind gewesen war.
Dakota schaltete ihren Ghost-Link ab, verfiel in Schweigen wie der Rest der Formation und trennte dadurch die Verbindung mit dem Kommando. Das Einzige, was jetzt noch zählte, war der Engel, der sie in die Schlacht rief. Mit Freude würde sie ihm folgen, gleichgültig, was mit ihr selbst
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