Shoal 01 - Lichtkrieg
Corso angestrengt atmen, während sie kurz innehielt und sich zu orientieren versuchte, wie sie am schnellsten in den Frachtraum gelangten. Die Chancen für eine richtige Entscheidung standen fünfzig zu fünfzig, doch vor diesem Black-out waren ihre Aussichten, am Leben zu bleiben, wesentlich ungünstiger gewesen.
Und die ganze Zeit über zerbrach Dakota sich den Kopf, was gerade passiert sein mochte.
Sie zweifelte nicht daran, dass der Händler dieses schiffsweite Systemversagen verursacht hatte, doch genauso sicher war sie sich, dass sie den Rest der Künstlichen Intelligenz, der sich noch in den Datenspeichern der Hyperion befand, zerstört hatte. Ohne die halborganische Maschine, die von ihr aufgespürt und in das Vakuum des Alls befördert worden war, fehlte dieser fremdartigen Intelligenz die Basis zum Funktionieren und zum Überleben. Der Link mit den Computersystemen an Bord existierte nicht mehr.
Daraus schloss sie, dass der Händler Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte, für den Fall, dass exakt diese Eventualität einträte. Sie selbst hätte sich ja auch in dieser Form gewappnet.
Die Luft wurde so dünn, dass Dakotas Iso-Anzug sich automatisch aktivierte und ihren geschundenen, zerschlagenen Körper in seine ölige Umarmung hüllte. Sie merkte, wie Corsos Hand, der sich während der ganzen Flucht an ihr festhielt, kurz zurückzuckte, als er die glatte Substanz auf ihrer Haut spürte.
Sehr zu ihrem Verdruss vergegenwärtigte sie sich, dass sie viel leichter aus dieser Lagerzone herausgekommen wären, wenn sie den Iso-Anzug gleich nach dem Erlöschen der Lichter aktiviert hätte; denn die Linsen über ihren Augen registrierten nun die Infrarot-Signaturen der sie umgebenden Wände und Maschinen, was die Orientierung wesentlich vereinfachte.
Corsos Körper glühte in einem stumpfen Orangerot, während der Korridor sich in ein unübersichtliches Gewirr aus verdeckten Energieleitungen und Schaltkreisen verwandelte, das von dem gespenstischen kühlen Schimmer der Wände überlagert wurde. Aber zumindest konnte sie sehen, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatten.
Corso quälte sich voran; offensichtlich litt er unter Atemnot. Das jaulende Geräusch wurde schwächer. In circa einer Minute würden sie sich in einem Vakuum befinden.
Sie packte Corso und sprang mit ihm einen Fallschacht hinunter, der eine Abkürzung darstellte.
Zu ihrer Erleichterung schaltete sich plötzlich flackernd und flimmernd die mattrote Notbeleuchtung ein.
Sie erreichten eine Luftschleuse, und sie bugsierte sich und Corso hinein; wegen der Schläge und Fußtritte, mit denen Kieran sie traktiert hatte, schmerzten ihre Muskeln bei jeder Bewegung. Zum Glück waren sämtliche Luftschleusen mit manuellen Schaltern für den Notfall ausgestattet, die binnen weniger Sekunden den Druckausgleich herstellten, und sie funktionierten über Schaltkreise, die unabhängig von den zentralen Systemen des Schiffs operierten.
Sie schlug mit der Faust auf einen Schalter und wartete ein paar Augenblicke, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, ehe sie ein leises Zischen hörte, das sich allmählich zu einem mehrere Sekunden andauernden Tosen steigerte.
Dann sank sie gegen eine Wand und ließ sich langsam daran herabgleiten. Vor Erleichterung hätte sie beinahe geweint. Corso lag wie ein Häufchen Elend neben ihr.
Die stille Leere in ihrem Inneren, die sonst von ihrem Ghost ausgefüllt war, blieb nicht länger stumm. Die fremde Präsenz, deren Eindringen sie gespürt hatte, breitete sich in ihrem Kopf aus und drückte gegen ihre Sinne, wie wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht in Dakotas Schädel hineinpasste.
Aufmerksam lauschte sie der Stimme und merkte, dass die Kreatur, die nun in ihrem Geist herumspukte, dieselbe Intelligenz war, die sie zuvor innerhalb der Datenspeicher des Wracks wahrgenommen hatte. Und das war noch längst nicht alles, was sie erfuhr.
Sie konnte weitere Stimmen hören, Stimmen, die der des Wracks glichen, aber dennoch anders waren; sie riefen von einem Ort aus, der sieh im Kern des inneren Planetensystems befand.
Anscheinend gab es mehr als ein Wrack im Nova-Arctis-System.
Ohne nachzudenken, versuchte sie, in ihrem Geist ein Bild des Frachtraums auf der anderen Seite der Luftschleuse zu erzeugen. Doch anstatt der perfekten, akkuraten, dreidimensionalen Karte, die ihr Ghost ihr früher präsentiert hatte, bekam sie lediglich eine vage Vorstellung von der Örtlichkeit, die auf ihrem eigenen, unzulänglichen
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