Shogun
sich im ersten Augenblick gefragt, was denn nun der Traum war: dies hier oder das Gefängnis.
Ungeduldig hatte er gewartet. Er hatte gehofft, daß man ihn vor Toranaga führen würde, hatte sich zurechtgelegt, was er sagen und was er enthüllen wolle, wie er Pater Alvito überspielen und sich über ihn aufschwingen könne. Und über Toranaga auch. Denn er wußte nach dem, was Pater Domingo ihm über die Portugiesen, den japanischen Handel und die japanische Politik erzählt, zweifelsfrei, daß er Toranaga jetzt helfen könnte – der ihm wiederum zu jenen Reichtümern verhelfen könnte, nach denen sein Herz begehrte.
Und jetzt war er womöglich noch zuversichtlicher als zuvor. Ich brauche nichts weiter als ein bißchen Glück und Geduld.
Aufmerksam lauschte Toranaga der puppenhaften Dolmetscherin.
Blackthorne dachte: Die könnte ich mit einer Hand hochheben, und wenn ich ihr beide Hände um die Taille legte, würden meine Finger sich berühren. Wie alt mag sie wohl sein? Gerade richtig. Verheiratet? Ehering ist keiner zu sehen. Oh, das ist interessant. Sie trägt überhaupt kein Geschmeide – nichts als die Silbernadeln im Haar. Die andere Frau, die dicke, übrigens auch nicht.
Er suchte in seiner Erinnerung. Die beiden anderen Frauen im Dorf hatten auch keinerlei Schmuck getragen, und in Muras Haus hatte er auch keinen zu Gesicht bekommen. Warum wohl?
Und wer mag die Dicke sein? Toranagas Frau? Oder die Kinderfrau des Knaben? Ob der wohl Toranagas Sohn ist? Oder vielleicht auch sein Enkel? Pater Domingo hatte gesagt, die Japaner hätten zwar immer nur eine Gemahlin, jedoch so viele Nebenfrauen – gesetzlich anerkannte Geliebte –, wie sie nur wollten. Und wer mochte die Dolmetscherin sein? Eine von Toranagas Nebenfrauen? Wie das wohl wäre – eine solche Frau im Bett zu haben? Ich hätte Angst, sie zu zerbrechen. Nein, zerbrechen würde sie nicht.
Der Knabe war klein und saß mit großen Augen aufrecht da. Sein volles schwarzes Haar war zu einer kurzen Quaste zusammengenommen, der Scheitel nicht rasiert. Seine Neugierde schien unersättlich.
Ohne weiter darüber nachzudenken, zwinkerte Blackthorne ihm zu. Der Knabe sprang auf, lachte dann, unterbrach Mariko und zeigte und sagte etwas, und sie hörten ihm nachsichtig zu; keiner brachte ihn zum Schweigen. Als er geendet hatte, wandte Toranaga sich kurz an Blackthorne.
»Herr Toranaga fragt, warum Ihr das getan habt, Senhor?«
»Ach, nur um den Jungen zu amüsieren. Er ist ein Kind wie jedes andere auch, und in meiner Heimat würden Kinder anfangen zu lachen, wenn ich ihnen zuzwinkerte. Mein Sohn muß etwa in seinem Alter sein. Er ist sieben.«
»Der Erbe ist auch sieben«, sagte Mariko nach einer Pause, um dann zu dolmetschen, was er gesagt hatte.
»Der Erbe? Soll das heißen, der Junge ist Herrn Toranagas einziger Sohn?« erkundigte Blackthorne sich.
»Herr Toranaga hat mich angewiesen, Euch zu sagen, Ihr möchtet Euch bitte im Augenblick darauf beschränken, nur seine Fragen zu beantworten«, sagte sie, um gleich darauf hinzuzufügen: »Ich bin sicher, wenn Ihr Euch geduldet, Kapitän Blackthorne, wird man Euch Gelegenheit geben, alles zu fragen, was Ihr wollt.«
»Sehr wohl.«
»Mein Gebieter fragt, ob Ihr noch mehr Kinder habt.«
»Noch eine Tochter. Sie kam gerade auf die Welt, bevor ich England verließ. Sie ist jetzt also um die zwei.«
»Habt Ihr eine Frau oder mehrere.«
»Eine. Das ist so Sitte bei uns, genauso wie bei den Portugiesen und Spaniern. Wir haben keine Nebenfrauen.«
»Bitte, wie alt seid Ihr?«
»Sechsunddreißig.«
»Wo in England lebt Ihr?«
»Am Rand von Chatham, einer kleinen Hafenstadt in der Nähe von London, unserer Hauptstadt.«
»Er fragt, wie viele Sprachen Ihr sprecht.«
»Englisch, Portugiesisch, Spanisch, Holländisch und selbstverständlich Lateinisch.«
»Was ist Holländisch?«
»Das ist eine Sprache, die in Europa in den Niederlanden gesprochen wird. Sie ist dem Deutschen sehr ähnlich.«
Sie runzelte die Stirn. »Dann ist es eine heidnische Sprache? Und Deutsch auch?«
»Beides sind nichtkatholische Länder«, sagte er vorsichtig.
»Verzeiht mir, aber ist das nicht das gleiche wie heidnisch?«
»Nein, Senhorita. Das Christentum ist in zwei klar unterschiedene und höchst verschiedene Bekenntnisse aufgeteilt: den Katholizismus und den Protestantismus. Die Sekte hier in Japan ist katholisch. Im Augenblick stehen beide Sekten sich sehr feindselig gegenüber.«
Er spürte, wie überrascht sie
Weitere Kostenlose Bücher