Shogun
meiner Tür standen heute nacht mehr als eine Wache und gestern auch. An mich könnte kein Meuchelmörder herankommen. Nicht einmal dieser. Er kannte den Weg, ja, sogar die Parole, neh? Daher glaube ich, daß er auch wußte, in welchem Zimmer ich war. Aber er hatte es gar nicht auf mich abgesehen, sondern auf den Anjin-san.«
»Den Barbaren?«
»Ja.«
Nach den außerordentlichen Enthüllungen heute morgen hatte Toranaga geahnt, daß dem Barbaren noch weitere Gefahr drohte. Ganz offensichtlich war der Anjin-san für einige zu gefährlich, als daß sie ihn am Leben lassen konnten. Allerdings hatte Toranaga nicht gedacht, daß ein solcher Angriff in seinen eigenen Privatgemächern und schon so bald stattfinden würde. Wer verrät mich? Daß Kiri oder Mariko geplaudert haben könnten, hielt er für ausgeschlossen. Aber Burgen und Gärten haben immer Verstecke, von denen aus man belauscht werden kann, dachte er. Ich befinde mich mitten in einer Hochburg des Feindes, und wo ich einen Spion habe, hat Ishido zwanzig! Vielleicht war es bloß ein Spion.
Nachdem die Dame Yodoko sich heute morgen verabschiedet hatte, war er in das Teehaus im Garten zurückgekehrt, wo ihm sofort die Schwäche des Anjin-san aufgefallen war, seine glänzenden Augen und seine Müdigkeit. Daher hatte er seine eigene Erregung und seine vielen weiteren Fragen hintangestellt und ihn entlassen. Er hatte gesagt, sie würden die Unterhaltung morgen fortsetzen. Der Anjin-san war Kiris Obhut anvertraut worden; er hatte ihr gesagt, sie solle sofort einen Arzt holen und ihm jenen Raum zuweisen, in dem Toranaga meistens selbst die Nacht verbrachte. »Gebt ihm alles, was Ihr für nötig haltet, Kiri-san«, hatte er ihr ans Herz gelegt. »Ich brauche ihn.«
Dann hatte der Barbar gebeten, Toranaga möchte heute noch den Mönch aus dem Gefängnis freilassen, denn er sei alt und krank. Er hatte erwidert, er würde es sich überlegen, und dann hatte er dem Barbaren gedankt und ihn fortgeschickt, ohne ihm zu verraten, daß er bereits Befehl gegeben hätte, diesen Mönch herauszuholen.
Toranaga hatte von diesem Priester schon des längeren gewußt: daß er Spanier sei und den Portugiesen feindlich gesonnen. Allerdings war der Mann auf Befehl des Taikō ins Gefängnis geworfen worden, und folglich war er ein Gefangener des Taikō; Toranaga besaß hier in Osaka über niemanden die Gerichtsbarkeit. Er hatte den Anjin-san bewußt und mit Absicht in dieses Gefängnis gesteckt, nicht nur, um Ishido vorzuspiegeln, daß der Fremde wertlos sei, sondern auch in der Hoffnung, daß es dem Piloten gelingen würde, etwas aus dem Mönch herauszuholen.
Der erste tölpelhafte Versuch, dem Anjin-san im Gefängnis ans Leben zu gehen, war fehlgeschlagen. Toranaga hatte seinen Vasallen und Spion Minikui, einen Kago -Mann, damit belohnt, daß er ihn herausholte und ihm vier Kagos zum Geschenk machte. Außerdem hatte er ihn am ersten Tag aus Osaka fortgeschickt. Im Laufe der folgenden Tage hatten seine anderen Spione Berichte gesandt, nach denen die beiden Männer sich jetzt angefreundet hätten, der Mönch rede und der Anjin-san Fragen stelle und zuhöre. Die Tatsache, daß Ishido in diesem Zellenblock wahrscheinlich gleichfalls Spione sitzen hatte, hatte ihn nicht weiter gekümmert. Der Anjin-san war sicher und beschützt. Dann hatte Ishido völlig unerwartet versucht, ihn verschwinden zu lassen.
Toranaga erinnerte sich, welchen Spaß er und Hiro-matsu gehabt hatten, als sie die ›Überrumpelung‹ geplant hatten. Die Ronin -Banditen waren nur eine von den kleinen Gruppen seiner eigenen Elite-Samurai, die er heimlich in und um Osaka herum stehen hatte. Auch das Auftauchen von Yabu hatten sie exakt geplant. Er war völlig ahnungslos und hatte schließlich die ›Rettung‹ bewerkstelligt. Sie hatten vor Vergnügen richtig gegluckst in dem Bewußtsein, daß sie Yabu abermals als Marionette benutzten, die Ishido die Nase tüchtig in den eigenen Dreck steckte.
Alles war wunderbar glatt verlaufen. Bis auf heute.
Heute war der Samurai, den er ausgeschickt hatte, den Mönch zu holen, mit leeren Händen zurückgekehrt. »Der Priester ist tot«, hatte er berichtet. »Als sein Name aufgerufen wurde, kam er nicht, Euer Gnaden. Ich bin reingegangen, um ihn persönlich zu holen, aber er war schon tot. Die Verbrecher um ihn herum sagten, als die Gefängnisaufseher seinen Namen gerufen hätten, sei er einfach zusammengebrochen … Ich wußte nicht, ob Ihr seinen Kopf wolltet oder ob er den
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