Shogun
voller Angst waren gefolgt, bis die Musketen dann endlich aus dem Hafen herausgeschmuggelt und wieder nach Macao zurückgebracht worden waren – jawohl, diesmal unter meinem Siegel, erinnerte dell'Aqua sich.
Wieviel mochte der Ketzer wissen?
Über eine Stunde lang saßen Ihre Eminenz in dem Ledersessel und starrten blicklos ins Feuer. Pater Alvito wartete geduldig in der Nähe des Bücherschrankes, die Hände auf dem Schoß. Gebündeltes Sonnenlicht tanzte auf dem silbernen Kruzifix an der Wand hinter dem Pater Visitator. An der einen Seitenwand hing ein kleines Ölbild des venezianischen Malers Tizian, das dell'Aqua in seiner Jugend in Padua gekauft hatte, wohin sein Vater ihn geschickt, um die Jurisprudenz zu studieren. An der gegenüberliegenden Wand standen seine Bibeln und seine lateinischen, portugiesischen, italienischen und spanischen Bücher. Außerdem zwölf Regale voll mit japanischen Büchern und Traktaten, gedruckt auf der Druckerpresse mit beweglichen Lettern, die der Gesellschaft Jesu gehörte und die dell'Aqua vor zehn Jahren unter großen Kosten aus Goa hatte kommen lassen: Es handelte sich um Erbauungsbücher und Katechismen aller Art, die die Jesuiten peinlichst genau ins Japanische übersetzt hatten; und um zwei kleine Bücher von unschätzbarem Wert: die vor sechs Jahren gedruckte erste portugiesisch-japanische Grammatik, das Lebenswerk von Pater Sancho Alvarez, und das dazugehörige portugiesisch-lateinisch-japanische Wörterverzeichnis, das vergangenes Jahr sowohl in römischen Lettern als auch in der japanischen Hiragana-Schrift gedruckt worden war.
Pater Alvito nahm das Buch zur Hand und strich liebevoll darüber hin. Er wußte, daß es sich um ein einzigartiges Kunstwerk handelte. Achtzehn Jahre lang hatte er selbst ein solches Werk zusammengestellt, und es war bei weitem noch nicht vollendet. Bei seiner Arbeit sollte es sich um ein weit detaillierteres Wörterbuch nebst erklärenden Zusätzen handeln – fast so etwas wie eine Einführung in das japanische Leben und die japanische Sprache; und wenn man seinen Namen nie vergessen würde, dann um dieses Buches willen und wegen der Druckerpresse des Paters Visitator, der für ihn wie ein Vater war; einen anderen hatte er nie gekannt.
»Du möchtest Portugal verlassen, mein Sohn, und in den Dienst Gottes treten?« hatte der riesenhafte Jesuit gefragt, als er ihn kennengelernt.
»O ja, bitte, Pater«, hatte er erwidert und den Kopf in den Nacken gelegt, um mit verzweifelter Sehnsucht zu ihm hinaufsehen zu können.
»Wie alt bist du, mein Sohn?«
»Ich – weiß es nicht, Pater, vielleicht zehn, vielleicht elf, aber ich kann lesen und schreiben; die Priester haben es mir beigebracht; und ich stehe ganz allein da, habe niemanden, der zu mir gehört, und gehöre zu niemanden …«
Dell'Aqua hatte ihn mit nach Goa genommen und von dort aus nach Nagasaki, wo er in das Seminar der Gesellschaft Jesu eingetreten war – als jüngster Europäer in Asien. Endlich hatte er einen Platz gehabt, wo er hingehörte. Dann war das Wunder der Zungen gekommen und die Vertrauensstellung als Dolmetsch und Handelsberater, zunächst beim Daimyo Harima Tadao, dem Lehnsherrn von Hizen in Kyushu, und schließlich beim Taikō selbst. Ein paar Jahre später war er zum Priester geweiht worden, und noch später war ihm sogar die Ehre widerfahren, das Vierte Gelübde ablegen zu dürfen. Dabei handelte es sich um ein ganz besonderes Gelübde, das über die üblichen Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams hinausging und das abzulegen nur einer Elite der Jesuiten gestattet wurde: das Gelübde des persönlichen Gehorsams dem Papst gegenüber – sich zu seinem persönlichen Werkzeug für die Arbeit Gottes zu machen, hinzugehen, wohin der Papst persönlich einen schickte, und zu tun, was er zu tun einem persönlich auftrug; kurz, wie es dem Gründer der Gesellschaft, dem baskischen Soldaten Loyola, vorgeschwebt hatte, einer von den Regimini Militantis Ecclesiae , einer der Professen, der Soldaten Gottes, für Seinen auserwählten General auf Erden, den Stellvertreter Christi.
Ich bin schon sehr vom Glück begünstigt gewesen, dachte Alvito.
Endlich stand dell'Aqua auf, streckte sich und trat ans Fenster. Die Sonne funkelte auf den vergoldeten Ziegeln des hochragenden Mittelturms der Burg, dessen unvergleichliche Anmut nicht vermuten ließ, von wie massiver Wehrhaftigkeit und Bauweise er war. Turm des Bösen, dachte er. Wie lange wird er noch dort stehen
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