Shogun
an, seid Japaner. Tut diesen Zwischenfall ab … weiter ist es doch nichts. Ihr dürft nicht zulassen, daß Eure Harmonie dadurch gestört wird.«
»Wie? Wie sollte ich das tun? Seht Euch meine Hände an! Ich zittere vor Wut!«
»Seht Euch diesen Felsen an, Anjin-san! Horcht, wie er wächst.«
»Wie bitte?«
»Lauscht dem Wachsen des Felsens, Anjin-san. Konzentriert Euch ganz und gar darauf, auf die Harmonie des Felsens. Lauscht dem Kami des Felsens! Horcht, Geliebter, um Eures Lebens willen. Und um meines Lebens willen.«
Er hatte es versucht, und ein wenig war es ihm gelungen. Und am nächsten Tag, nachdem sie wieder Freunde, wieder ein Liebespaar geworden waren und wieder Friede zwischen ihnen herrschte, hatte sie fortgefahren, ihn zu lehren, ihn zu formen … freilich ohne daß er merkte … ihn zu lehren, den Achtfältigen Zaun zu errichten, jene inneren Mauern und Verteidigungsanlagen aufzurichten, welche für ihn der einzige Weg zur Harmonie waren. Und zum Überleben.
»Ich bin so froh, daß der Priester fort ist und nicht wiederkommen wird, Anjin-san.«
»Ja.«
»Besser wäre es gewesen, es hätte keinen Streit gegeben. Ich habe Angst um Euch.«
»Es hat sich ja nichts geändert … er ist immer mein Feind gewesen, und er wird es bleiben. Karma ist Karma. Aber vergeßt Ihr nicht, daß außerhalb von uns nichts existiert. Noch nicht. Weder er noch sonst jemand. Zumindest bis Yedo nicht. Neh?«
»Ja. Ihr seid so weise. Ich bin so glücklich mit Euch …«
Die von Mishima kommende Straße hatte das Flachland bald verlassen und führte den Berg zum Hakoné-Paß hinauf. Dort oben hatten sie fröhlich und zufrieden zwei Tage Pause gemacht. Der Fuji-yama bot ein herrliches Bild. Die oberste Spitze war von einem Wolkenkranz umringt.
»Sieht der Berg immer so aus?«
»Ja, Anjin-san. Er ist fast immer von einem Wolkenkranz umgeben. Das verleiht dem Fuji-san so etwas Reines und Erhabenes und macht ihn um so schöner, neh? Ihr könnt bis zum Gipfel hinaufsteigen, wenn Ihr wollt.«
»Laßt uns das jetzt tun.«
»Nicht jetzt, Anjin-san. Eines Tages werden wir es tun, im Herbst …«
Auf der Reise in den Kwanto hinunter war ein reizendes Gasthaus neben dem anderen gelegen. Immer wieder hatten sie Bäche, Flüsse und Ströme überqueren müssen. Das Meer sahen sie jetzt zu ihrer Rechten. Ihr kleiner Zug war die Tokaidō-Straße entlang nach Norden gezogen, quer über die große Reisschale des Reiches. Die Luft war heiß und feucht, der beißende Geruch von menschlichem Kot hing darin, den die Bauern mit Wasser vermengten und jeder Pflanze liebevoll mit einer Kelle zuteilten.
»Reis liefert uns Nahrung, Anjin-san, Tatamis zum Schlafen, Sandalen zum Gehen, Kleidung, um Regen und Kälte abzuwehren, Stroh, um unsere Häuser damit warm zu halten, Papier, um darauf zu schreiben. Ohne Reis können wir nicht leben.«
»Aber dieser Gestank, Mariko-san!«
»Ist das nicht ein geringer Preis für einen solchen Segen? Macht es nur wie wir, öffnet Augen, Ohren und Gemüt. Hört den Wind und den Regen, die Insekten und Vögel, horcht, wie die Pflanzen wachsen, und im Geiste stellt Euch vor, wie Eure Generation bis ans Ende der Zeit geht. Wenn Ihr das tut, Anjin-san, werdet Ihr bald spüren, wie herrlich das Leben ist. Es bedarf großer Übung … aber erst dann werdet Ihr richtig zu einem Japaner, neh?«
»Ah, vielen Dank, meine Dame! Allerdings gestehe ich, daß ich anfange, Reis gern zu mögen. Ja. Und wißt Ihr noch etwas … ich vermisse das Fleisch längst nicht mehr so wie früher. Ist das nicht merkwürdig?«
Drei Tage vor dem Hakoné-Paß hatte ihre Monatsregel eingesetzt, und sie hatte ihn gebeten, sich eine der Zofen des Gasthauses zu nehmen. »Das wäre sehr klug, Anjin-san.«
»Ich möchte aber lieber doch nicht, tut mir leid.«
»Bitte, ich bitte Ihn darum. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Ein besonnener Mann würde es tun.«
»Wenn Ihr mich bittet, dann ja. Aber erst morgen, nicht heute nacht. Heute nacht laßt uns in Ruhe schlafen.«
Ja, dachte Mariko, in jener Nacht haben wir in Ruhe geschlafen, und der Tagesanbruch hinterher war so zauberhaft, daß ich seine Wärme verließ, mich zu Chimmoko auf die Veranda setzte und wir die Geburt eines neuen Tages beobachteten.
»Ah, guten Morgen, Dame Toda.« Gyoko hatte am Garteneingang gestanden und sich vor ihr verneigt. »Ein hinreißender Sonnenaufgang, neh?«
»Ja, wunderschön.«
»Erlaubt Ihr, daß ich Euch störe? Könnte ich Euch wohl unter
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