Shogun
dem dämmernden Himmel die Messe zu lesen … und diesmal war sie wirklicher und schöner, als sie es jemals gewesen war – für ihn genauso wie für sie.
Die Erasmus lag im sturmgeschütztesten Hafen, den Blackthorne je gesehen hatte, weit genug vom Ufer entfernt, um Platz zum Manövrieren zu haben, und dennoch nahe genug, daß nichts passieren konnte. Sechs Faden Wasser über einem festen Meeresboden, und bis auf die schmale Einfahrt rings von hochgelegenem Land umgeben, das jeder Flotte vor dem Zorn des Ozeans Schutz gewähren konnte.
Die Tagesreise von Yedo war ohne Zwischenfall verlaufen, allerdings ziemlich anstrengend gewesen. Einen halben Ri weiter im Norden war die Galeere bei dem Fischerdorf Yokohama an einem Pier vertäut, und jetzt waren sie allein an Bord: Blackthorne und seine Leute, Holländer wie Japaner. Naga und Yabu waren an Land gegangen, um das Musketenregiment zu inspizieren, und ihm hatte man gesagt, er solle sich ihnen später zugesellen. Im Westen stand die Sonne niedrig überm Horizont, und das Abendrot versprach für morgen einen weiteren schönen Tag.
»Aber warum, Uraga-san?« fragte Blackthorne vom Achterdeck herunter. Er hatte gerade befohlen, daß die Mannschaft und seine Vasallen unten antreten sollten, und Uraga hatte ihn gebeten, noch einen Augenblick zu bleiben, um herauszufinden, ob sich Christen unter seinen Vasallen befänden. »Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Nein, Euer Gnaden, tut mir leid.« Vor den versammelten Samurai-Vasallen stand Uraga da. Die holländische Mannschaft drängte sich nervös in der Nähe der Achterdeckreling. »Verzeiht, bitte, aber es ist von größter Wichtigkeit, das sofort festzustellen. Ihr seid ihr Hauptfeind. Deshalb müßt Ihr es wissen, zu Eurem eigenen Schutz. Ich möchte Euch ja nur schützen. Braucht nicht lange, neh?«
»Sind alle an Deck?«
»Jawohl, Euer Gnaden.«
Blackthorne trat näher an die Reling heran und rief auf japanisch: »Ist irgendeiner von euch Christ?« Keine Antwort. »Ich befehle, daß jeder, der Christ ist, vortrete.« Niemand bewegte sich. Deshalb wandte er sich an Uraga. »Teilt zehn Mann für die Deckwache ein, und dann entlaßt sie.«
»Mit Eurer Erlaubnis, Anjin-san.« Unter seinem Kimono holte Uraga ein kleines gemaltes Heiligenbild hervor, das er aus Yedo mitgebracht, und warf es mit dem Bild nach oben auf das Deck. Dann trat er mit voller Absicht darauf. Blackthorne und die Mannschaft waren beunruhigt über diese Entheiligung. Bis auf Jan Roper. »Bitte. Befehlt, daß jeder Vasall das tut!« sagte Uraga.
»Warum?«
»Ich kenne die Christen. Bitte, Euer Gnaden. Es ist wichtig, daß jeder das tut. Jetzt, heute abend.«
»Nun gut«, willigte Blackthorne widerstrebend ein.
Uraga wandte sich an die versammelten Vasallen. »Unser Gebieter befiehlt auf meine Bitte hin, daß jeder es mir nachtue.«
Die Samurai murrten, und einer sagte: »Wir haben bereits erklärt, daß wir keine Christen sind, neh? Was soll es beweisen, auf das barbarische Gottesbild zu treten? Nichts.«
»Christen sind die Feinde unseres Gebieters. Christen sind verräterisch … Aber Christen sind Christen. Bitte, verzeiht mir. Zu meiner Schande habe ich unsere wahren Götter verleugnet. Tut mir leid, aber ich glaube, es ist nötig für die Sicherheit unseres Gebieters.«
Sofort erklärte einer der Samurai aus dem vordersten Glied: »In dem Fall bedarf es keiner weiteren Worte.« Er trat vor und trat auf das Bild. »Ich hänge keiner barbarischen Religion an.«
Einer nach dem anderen traten sie vor. Blackthorne sah zu. Er verabscheute die Zeremonie. Es dauerte doch länger als angenommen, und er bedauerte bereits, eingewilligt zu haben. Sein Blick wanderte hinüber zum Dorf und zum Vorgebirge. Es ging ihm darum, bald an Land zu kommen und sich in dem Lehen zu sonnen, das Toranaga ihm gegeben und zu dem auch Yokohama gehörte. Guter Gott im Himmel, sagte er sich, ich bin Herr eines der besten Häfen der Welt. Unversehens sprang einer der Samurai über das Heiligenbild hinweg, riß sein Schwert heraus und stürzte auf Blackthorne zu. Ein Dutzend erschrockener Samurai stellte sich ihm mutig in den Weg und schirmte das Achterdeck ab, während Blackthorne herumfuhr, eine Pistole spannte und zielte. Andere stoben auseinander, rempelten sich an, stolperten und wurlten durcheinander. Der Samurai kam schliddernd zum Stehen, brüllte vor Wut auf, wandte sich dann ab und hieb auf Uraga ein, dem es irgendwie gelang, dem Schwerthieb zu entgehen.
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