Shogun
verkriechen konnte, sonst wäre sie womöglich diesem Gezücht lebend in die Hände gefallen.«
»Aber sie ist ihnen nicht in die Hände gefallen und hat eine Art von Seppuku begangen, Herr General, genauso wie die anderen; und jetzt werden – wenn wir nicht alle ziehen lassen – noch viele aus Protest sterben, und das können wir uns nicht leisten«, sagte Kiyama.
»Der Meinung bin ich nicht. Es sollten alle hierbleiben … zumindest so lange, bis Toranaga-sama unsere Grenzen überschreitet.«
Ito lächelte. »Das wird ein denkwürdiger Tag!«
»Ihr glaubt, er tut es nicht?« fragte Zataki.
»Was ich glaube, ist ohne Bedeutung, Herr Zataki. Wir werden bald genug erfahren, was er vorhat. Toranaga muß sterben, wenn Yaemon sein Erbe auch antreten soll.« Ito blickte zu Ishido. »Ist der Barbar schon tot, Herr General?«
Ishido schüttelte den Kopf und beobachtete Kiyama. »Es wäre ein Unglück, wenn er jetzt stürbe oder dauernden Schaden davontrüge … ein so mutiger Mann. Neh?«
»Ich glaube, er ist eine Plage, und je früher er stirbt, desto besser. Habt Ihr das vergessen?«
»Er könnte uns nützlich sein. Toranaga ist kein Dummkopf. Er muß gute Gründe haben, ihn so wohlwollend zu behandeln. Neh?«
»Ja, da habt Ihr recht«, sagte Ito. »Für einen Barbaren hat der Anjin-san sich gut gehalten, oder?« Er sah Ochiba an. »Als er Euch die Blüte überreichte, Dame, da fand ich, das sei eine poetische Geste, die eines Hofmanns würdig gewesen wäre.«
Alle fanden das.
»Wie steht es jetzt mit dem Dichterwettstreit, Dame?« fragte Ito.
»Den werden wir absagen müssen, tut mir leid«, sagte Ochiba.
»Ja«, pflichtete Kiyama ihr bei, »aber jetzt könnte ich das Gedicht folgendermaßen fortführen:
Über entlaubtem Zweig
fiel der Sturm her …
Dunklen Sommers Tränen.«
»Das sollte ihr Grabspruch sein. Sie war Samurai«, sagte Ito leise. »Ich teile dieses Sommers Tränen.«
»Was mich betrifft«, sagte Ochiba, »so hätte ich einen anderen Schluß gewünscht:
Auf entlaubtem Zweig
lauschte der Schnee …
Schweigen des Winters.
Aber Ihr habt recht, Herr Ito. Auch ich glaube, wir alle teilen dieses Sommers Tränen.«
»Nein, tut mir leid, Dame, aber Ihr irrt«, sagte Ishido. »Gewiß, es wird Tränen geben, aber Toranaga und seine Verbündeten werden es sein, die sie vergießen.«
Er wollte die Sitzung zum Schluß bringen. »Ich werde den Überfall der Ninja sofort untersuchen lassen. Allerdings zweifle ich, daß wir jemals hinter die Wahrheit kommen werden. Inzwischen werden aus Gründen der Sicherheit sämtliche Pässe zurückgezogen, und es ist jedem verboten, Osaka vor dem zweiundzwanzigsten Tag zu verlassen.«
»Nein«, ließ Onoshi, der Leprakranke und letzte der Regenten, sich von seinem einsamen Platz am anderen Ende des Raums vernehmen, wo er hinter den undurchsichtigen Vorhängen seiner Sänfte lag. »Tut mir leid, aber genau das könnt Ihr nicht tun. Jetzt müßt Ihr jeden ziehen lassen. Jeden.«
»Warum?«
Onoshis Stimme bekam etwas Böses und Unerschrockenes. »Wenn Ihr das nicht tut, besudelt Ihr die Ehre der mutigsten Dame im ganzen Reich – und entehrt Ihr die Dame Kiyama Achiko sowie die Dame Maeda – Gott sei ihren Seelen gnädig!«
Ein Schauder durchlief Ochiba. Vor Jahresfrist, als Onoshi nach Osaka gekommen war, um dem sterbenden Taikō zu huldigen, hatten die Wachen darauf bestanden, daß die Vorhänge der Sänfte zurückgezogen würden, weil Onoshi Waffen versteckt halten könnte, und dabei hatte sie sein entstelltes Gesicht gesehen – ohne Nase, ohne Ohren, völlig zerfressen, die brennenden, fanatischen Augen, den Stumpf der linken Hand und die Rechte, mit der er das Kurzschwert gepackt hatte.
Die Dame Ochiba betete darum, daß weder sie noch Yaemon jemals die Lepra bekommen möchten. Auch ihr war an einem Ende dieser Sitzung gelegen, denn sie mußte sich schlüssig werden, was sie tun sollte – Toranaga oder Ishido.
»Zweitens«, sagte Onoshi, »wenn Ihr diesen niederträchtigen Überfall als Vorwand benutzt, um irgend jemand hier festzuhalten, gebt Ihr damit zu, daß Ihr in Wirklichkeit nie vorgehabt hattet, sie ziehen zu lassen. Drittens: Ihr …«
Ishido unterbrach ihn. »Der ganze Rat war einverstanden, die Pässe auszugeben.«
»Tut mir leid, aber der gesamte Rat stimmte dem Vorschlag der Dame Ochiba zu, freies Geleit anzubieten – und zwar in der Annahme, daß nur wenige von der Möglichkeit Gebrauch machen würden.«
»Wollt Ihr damit
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