Shogun
liegen wir im Krieg miteinander – wir mit den Holländern und Engländern.
Er schloß das Schloß auf und nahm seinen privaten roteiro heraus, um einige der Peilungen zum nächstgelegenen Hafen nachzusehen, und da erblickten seine Augen das versiegelte Paket, das der Priester, Pater Sebastio, ihm kurz vor ihrer Abfahrt aus Anjiro übergeben hatte. Ob es wohl die roteiros des Engländers enthält? fragte er sich zum hundertsten Mal.
Er wog das Paket in der Hand, betrachtete die Jesuitensiegel und war in größter Versuchung, sie zu erbrechen und mit eigenen Augen nachzusehen. Blackthorne hatte ihm nur erzählt, daß das niederländische Geschwader durch die Magellanstraße gekommen sei, mehr eigentlich nicht. Der Ingeles stellt viele Fragen und erzählt von sich aus nichts, dachte Rodrigues. Er ist ein gerissener Hund, klug und gefährlich.
Sind es nun seine roteiros oder sind sie es nicht? Und wenn sie es sind, was nützen sie dann den frommen Vätern?
Ihn schauderte, als er an die Jesuiten und Franziskaner, die Dominikaner und alle anderen Mönche und Priester und an die Inquisition dachte. Es gibt gute und schlechte Priester. Die meisten sind zwar schlecht, aber immerhin sind auch sie Priester. Ach, Madonna, bewahr uns vor dem Übel und vor den schlechten Priestern!
Im Hafen von Anjiro war Rodrigues zusammen mit Blackthorne in seiner Kammer gewesen, als die Tür aufgegangen und Pater Sebastio unangemeldet hereingetreten war. Sie hatten gegessen und getrunken, und die Reste ihrer Mahlzeit standen noch in hölzernen Schalen auf dem Tisch.
»Ihr brecht das Brot mit Ketzern?« hatte der Priester ihn gefragt. »Es ist gefährlich, den Tisch mit ihnen zu teilen. Hat er Euch gesagt, daß er ein Seeräuber ist?«
»Es ist christlich, sich seinen Feinden gegenüber ritterlich zu verhalten, Pater. Als ich in ihrer Hand war, waren sie auch anständig zu mir. Was ich tue, ist nichts anderes, als ihre Barmherzigkeit erwidern.« Er war niedergekniet und hatte das Kreuz des Priesters geküßt. Dann hatte er sich erhoben, dem Priester ein Glas Wein angeboten und gesagt: »Wie kann ich Euch behilflich sein?«
»Ich möchte nach Osaka. Mit diesem Schiff.«
»Ich werde mich sofort erkundigen.« Er war hinausgegangen, hatte den Kapitän gefragt, und von ihm war die Bitte an Toda Hiro-matsu weitergeleitet worden, der sagen ließ, Toranaga habe nichts davon gesagt, daß man einen fremden Priester aus Anjiro mitbringen solle, und deshalb bedaure er, den Priester nicht mitnehmen zu können.
Pater Sebastio hatte unter vier Augen mit Rodrigues reden wollen, und deshalb hatte dieser den Engländer an Deck geschickt, und dann, in der Verschwiegenheit der Kammer, hatte der Priester das versiegelte Paket hervorgezogen.
»Ich möchte, daß Ihr dies dem Pater Visitator übergebt.«
»Ich weiß nicht, ob Seine Eminenz noch in Osaka sein werden, wenn ich ankomme.« Rodrigues gefiel es durchaus nicht, ein Überbringer jesuitischer Geheimnisse zu sein.
»Vielleicht muß ich zurück nach Nagasaki. Vielleicht hat mein Generalkapitän Befehle für mich hinterlassen.«
»Dann übergebt es Pater Alvito, aber nur ihm persönlich.«
»Sehr wohl«, hatte er daraufhin gesagt.
Jetzt, in seiner Kammer, legte Rodrigues das Paket wieder zurück in seine Seekiste, obwohl die Versuchung groß war. Warum ausgerechnet Pater Alvito? Pater Martin Alvito war der Haupt-Handelsmittler. Er war viele Jahre hindurch der persönliche Dolmetsch des Taikō gewesen und aus diesem Grund ein Intimus der einflußreichsten Daimyos. Pater Alvito pendelte regelmäßig zwischen Nagasaki und Osaka hin und her und war einer der sehr wenigen Männer, vor allem aber der einzige Europäer, die jederzeit Zutritt beim Taikō gehabt hatten – ein enorm kluger Mann, der perfekt Japanisch sprach und mehr über die Japaner und ihre Lebensweise wußte als irgendwer sonst. Jetzt war er der einflußreichste Vermittler der Portugiesen beim Regentschaftsrat im allgemeinen und zwischen Ishido und Toranaga im besonderen.
Man kann Gift drauf nehmen, daß die Jesuiten einen der ihren in eine so überaus wichtige Stellung hineinbringen, dachte Rodrigues voller Schrecken. Wäre nicht die Gesellschaft Jesu gewesen, so hätte die Flut der Ketzerei gewiß niemals aufgehalten werden können. Möglicherweise wären Portugal und Spanien dann protestantisch geworden, und dann wären unsere unsterblichen Seelen für immer verloren gewesen, Madonna!
»Warum denkst du eigentlich dauernd über
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