Shogun
Priester nach?« fragte Rodrigues sich laut. »Du weißt doch, daß dich das unruhig macht!« Jawohl. Und trotzdem: Warum Pater Alvito? Wenn das Paket die roteiros enthält – ist das Paket dann für einen der christlichen Daimyos bestimmt oder für Ishido oder Toranaga, oder einfach für Seine Eminenz, den Pater Visitator persönlich? Oder für meinen Generalkapitän? Oder sollen die roteiros nach Rom geschickt werden, für die Spanier? Warum ausgerechnet Pater Alvito?
Und warum ist Toranaga so versessen auf den Ingeles?
In meinem Herzen weiß ich, daß ich Blackthorne umbringen sollte. Er ist ein Feind, ein Ketzer. Und da ist noch etwas anderes. Ich hab' das Gefühl, daß dieser Ingeles eine Gefahr für uns alle darstellt. Wieso? Er ist ein Pilot – und zwar ein besonders tüchtiger! Stark, intelligent, ein guter Mann. In der Beziehung brauchte man sich keine Sorgen zu machen. Warum also habe ich dann Angst? Ich habe das Gefühl, ich sollte ihn rasch töten, je schneller, desto besser. Nicht im Zorn. Nur, um uns selbst zu schützen. Warum?
Ich habe Angst vor ihm.
Was tun? Es der Hand Gottes überlassen? Der Sturm zieht herauf, und es wird ein schlimmer Sturm werden.
Der Orkan brach vor Sonnenuntergang los und überraschte sie, als sie noch auf hoher See waren. Das Land war zehn Meilen entfernt. Die Bucht, auf die sie zurasten, würde Schutz genug bieten. Sie hatten zwischen sich und der Sicherheit des Ankerplatzes zwar keinerlei Untiefen und Riffe zu befürchten, aber zehn Meilen waren zehn Meilen, die See ging immer höher, getrieben von einem regenpeitschenden Wind.
Der Sturm blies aus Nordosten und sprang ständig um, wenn Böen unversehens aus östlicher oder nördlicher Richtung über sie herfielen, und die See war aufgewühlt. Sie liefen einen nordwestlichen Kurs, so daß sie den Wogen fast die volle Breitseite boten und mal unten auf der Talsohle, mal oben auf dem Kamm der Wellen dahinflogen. Die Galeere hatte kaum Tiefgang, war auf Geschwindigkeit und ruhiges Wasser getrimmt, und obgleich die Ruderer sich ins Zeug legten und sehr diszipliniert waren, war es schwierig, ihre Riemen im Wasser zu halten und sie gleichmäßig durchziehen zu lassen.
»Ihr müßt die Riemen einziehen und vorm Wind segeln«, schrie Blackthorne. Beide Männer wußten, wenn sie in den Wind drehten, konnten sie niemals gegen den Sturm anlaufen, und Strömung und Wind würden sie vom sicheren Hafen fort auf die hohe See hinaustragen. Und liefen sie vorm Wind, würden Strömung und Wind sie genauso vom sicheren Ankerplatz fort und hinausführen auf die hohe See, nur in diesem Fall noch schneller.
Bis jetzt hatte das Schiff noch kein Wasser übernommen. Die Galeere war schwer beladen und lag tiefer im Wasser, als ihnen beiden lieb war. Rodrigues hatte während der Wache alles ordentlich vorbereiten lassen. Alles war festgezurrt, die Luken verschlossen, die Männer gewarnt. Hiro-matsu und Yabu hatten gesagt, sie würden fürs erste unter Deck bleiben und später hinaufkommen. Rodrigues hatte mit den Achseln gezuckt und ihnen unverblümt gesagt, daß es sehr gefährlich werden würde. Er war jedoch sicher, sie hatten es nicht verstanden.
»Was werden sie tun?« hatte Blackthorne ihn gefragt.
In der Hölle des Hauptdecks arbeiteten die Ruderer mit aller Kraft. Normalerweise war jeder Riemen mit zwei Mann besetzt, doch Rodrigues hatte befohlen, daß aus Gründen der Zugkraft, der Sicherheit und der Schnelligkeit drei Mann an jeden Riemen kamen. Unten warteten andere, diese Ruderer abzulösen, sobald er den Befehl dazu gab. Der Rudermeister auf dem Vordeck war ein erfahrener Mann, seine Trommelschläge kamen langsam, immer auf die Wellen abgestimmt. Die Galeere machte immer noch recht gute Fahrt, obgleich der Gegendruck sich zunehmend bemerkbar machte und sie immer länger brauchten, ehe sie wieder vorankamen. Dann sprang der Wind um, und der Rudermeister geriet aus dem Takt.
»Aufpassen, voraus!« schrien Blackthorne und Rodrigues fast wie aus einem Mund. Die Galeere schlingerte, daß einem übel werden konnte, vierundzwanzig Riemen rissen an der Luft statt am Wasser, und es herrschte ein Chaos an Bord. Der erste Brecher kam über sie, und das Backbordschanzkleid stand unter Wasser. Sie drehten sich und kamen nicht voran.
»Geht nach vorn!« befahl Rodrigues. »Sie sollen auf jeder Seite die Hälfte der Riemen einziehen! Madonna, beeilt Euch!«
Blackthorne wußte, daß er ohne seine Rettungsleine leicht über Bord gehen
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