Shon'jir – die sterbende Sonne
du teilen, She'pan, oder willst du herausfordern?«
Tränen standen in Sochils Augen, die herabliefen und ihren Schleier durchfeuchteten. Sie blickte ängstlich auf Niun, dann wieder auf Melein. »Er ist sehr jung. Ihr seid beide sehr jung und in seltsamer Gesellschaft. Die Götter wissen, daß du nicht weißt, was du tust. Wie könnte ich meine Kinder teilen? – She'pan, sie fürchten sich vor dir.«
»Antworte!«
Sochils Kopf fuhr zurück. Ihre glitzernden Augen blinzelten und vergossen Tränen, und sie wandte sich um und schritt davon.
Ihr Volk stand schweigend da. Sie hätten etwas tun können, dachte Duncan, hätten ihr ihre Unterstützung zeigen können. Aber Melein würde sie beanspruchen, und sie würden nur dann Sochils Volk bleiben, wenn diese die Herausforderung erwiderte.
Sochil blieb zwischen den Reihen ihres Kel stehen und drehte sich plötzlich um. »A'ani!« schrie sie. Das war die Herausforderung.
Melein wandte sich Niun zu, und bedächtig legte er den Gürtel mit den Zahen'ein ab und überreichte Duncan die modernen Waffen. Dann verbeugte er sich vor Melein, drehte sich um und trat vor.
Desgleichen tat Merai s'Elil.
Duncan stand still, spürte das Gewicht des Gürtels in den Händen. Melein faßte ihn am Ärmel. »Kel Duncan, du verstehst... du darfst dich nicht einmischen!«
Und sie verschleierte sich und verschwand zwischen den feindlichen Kel'ein, und Sochil folgte ihr. Hinter ihnen formte sich der Wall der Kel'ein von neuem.
Es herrschte Schweigen, abgesehen vom unablässigen Pfeifen des Windes.
In der Mitte des Kreises nahmen Niun und Merai ihre Positionen ein, standen einander in anderthalbfacher Fechtdistanz gegenüber. Jeder hob eine Handvoll Sand hoch und warf sie in den Wind.
Dann fuhren die Av'ein-kel , die großen Schwerter, flüsternd aus den Scheiden.
Ein Schlagabtausch, wobei sie die Positionen wechselten; die Klingen blitzten und klangen leicht gegeneinander, standen still. Ein zweiter Schlagabtausch, und Kel Merai hielt inne, schien einfach zu vergessen, wo er war – und stürzte. Die Klinge schien ihn gar nicht berührt zu haben.
Aber etwas Dunkles breitete sich unter ihm auf dem Sand aus.
Niun beugte sich hinab und hob mit den Fingern Sand auf, schmierte ihn sich auf die Stirn... fing an, mit einer zweiten Handvoll Sand seine Klinge zu reinigen, als gäbe es sonst auf der Welt nichts anderes, als gäbe es um ihn keinen Zuschauerkreis von Fremden.
Dann straffte er sich, steckte das Av'kel in die Scheide, stand reglos.
Eine Zeitlang war nur das Flattern der Gewänder im Wind zu hören. Dann erhob sich ein Wehklagen vom Volk hinter den Reihen des Kel.
Duncan stand reglos und verloren; er sah und hörte zu, beobachtete das sich Verschieben der Reihen – und Niun verließ ihn. Er war in dem Durcheinander vergessen.
Männer trugen den toten Kel'anth ruhig fort, auf die Wüste zu. Kurz darauf kamen Kel'ein mit einem weiß umhüllten Bündel, und das erschütterte Duncans Vertrauen: Sochil, dachte er in der Hoffnung, sich nicht zu täuschen. Wie sie gestorben war, durch wessen Hand, das zu wissen hatte er keine Möglichkeit. Viele Kel'ein begleiteten diesen Leichnam. Andere stellten schwarze Zelte auf, errichteten ein Lager.
Die fahle Sonne versank, und der Wind wurde kalt; Duncan stand in der Dämmerung am Rand des Lagers und beobachtete die Rückkehr der Begräbnisgruppen... setzte sich schließlich auf den Boden, denn die Beine wurden ihm taub und er hatte nicht mehr die Kraft, in der Kälte und dem Wind zu stehen.
Ein Schnaufen ertönte in seiner Nähe – sie waren leichtfüßig, die Dusei, wenn sie Wert darauf legten. Er spürte sie, und sie kamen und schnupperten an ihm, erkannten ihn. Eines wagte sich fort, und er rief es zurück, Niuns Dus. Es kam und ließ sich unbehaglich neben ihm nieder. Er freute sich darüber, daß sie da waren, fühlte sich bei ihnen weniger einsam und hatte weniger Angst.
Und nach Einbruch der Dunkelheit sah er einen hochgewachsenen Schatten aus dem Lager kommen, sah das Schimmern des Mondlichtes auf bronzenen Waffengriffen und dem Visier des Zaidhe , und erkannte Niun sogar auf große Entfernung.
Er stand auf. Niun winkte ihm zu kommen, und die Dusei trotteten hinter ihm her.
Es gab keine Erklärungen, nichts. Die Dusei fingen Niuns Stimmung auf, die immer noch angespannt war. Sie gingen mit den Tieren in die Mitte des seltsamen Lagers und in das größte Zelt.
Schwarze Gewänder füllten es aus, Köpfe und Körper
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