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Shon'jir – die sterbende Sonne

Shon'jir – die sterbende Sonne

Titel: Shon'jir – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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gab nur ein müdes Seufzen von sich. Es tolerierte den Menschen, und das verblüffte Niun; es erschreckte ihn, daß selbst die nicht korrumpierbaren Dusei verführt werden konnten. Kein Schutz verblieb ihm.
    Dunkelheit zog durch sein Bewußtsein, eine unerwünschte Erinnerung, einstürzende Türme, das bleiche Gesicht der She'pan in der Dunkelheit, die Augen geschlossen.
    Wieder hob das Dus den Kopf, stöhnte und schnupperte an Niuns Hand.
    »Melein?« fragte er, den Blick auf Duncan gerichtet, auf weiße Wände und die Wirklichkeit – denn er mußte es fragen. Er erinnerte sich daran, daß er seinem Menschen vertraut hatte. Hoffnung erhob sich in ihm, weil keine Schuld Duncans Gesicht berührte, als er diese Frage stellte.
    Der Mensch kam herbei und setzte sich neben ihn, faßte dabei das Dus an, als habe er überhaupt keine Probleme mit dem Tier; aber Furcht... Furcht gab es in ihm: Niun spürte sie. »Sie ist hier«, berichtete ihm Duncan. »Es geht ihr gut – so gut wie dir.«
    »Das ist überhaupt nicht gut«, sagte Niun mit belegter Stimme, mit verzogenem Mund; aber dann stimmte es – dann stimmte es, und er hatte es nicht nur geträumt wie andere Träume. Er konnte nicht die Augen schließen, damit nicht die Tränen herausströmten und ihn beschämten. Er starrte Duncan an und befingerte die Samthaut des Dus zwischen ihnen, eine heiße und tröstende Glätte.
    »Du bist frei«, erklärte Duncan vorsichtig und deutlich, wie man mit einem Kind spricht. »Ihr beide. Wir sind auf einem Schiff, das sich von Kesrith entfernt, und ich bin außer euch der einzige an Bord. Ich habe das gemacht, weil ich euch vertraue. Tut mir den Gefallen, mir für eine kleine Weile zu vertrauen!«
    Dies, so unglaublich und verrückt es war, hatte den einfachen Klang der Wahrheit an sich: es gab kein Ausweichen in Duncans Blick. Niun akzeptierte es, so verwirrt er war, und dachte sofort an Begleitschiffe, die sie umgaben auf dem Weg in Gefangenschaft bei Menschen, an eine Myriade anderer Formen des Verrats. Aber da war Duncan.
    Da war Duncan, auf dem alle Hoffnungen ruhten, der allein unter allen Menschenfeinden und Regul ihn ehrenvoll verstanden hatte, dessen Herz ehrenwert war, ein Kel'en des Menschenvolkes.
    Er ballte die Hände, probierte ihre Stärke und fand, daß die Taubheit, die solange seinen Geist entleert und seine Glieder geschwächt hatte, jetzt zurückkehrte. Drogen: er erkannte die Wahrscheinlichkeit davon; aber sie verloren seine Sinne aus dem Griff und hinterließen sie zunehmend klar. Duncan gab ihm wieder Wasser zu trinken, und er trank; und mehr von der scheußlichen Brühe, und er trank auch sie, preßte die Kiefer zusammen und zwang den Magen dazu, die Nahrung zu behalten.
    Die She'pan lebte: seine Wahrschwester Melein, Mutter des Volkes. Sie war seine Aufgabe. Er war Kel'en, Krieger, und die Krankheit und die Wunde und die Drogen hatten ihm seine Kraft und seine Schnelligkeit und sein Geschick geraubt, all das, was er jemals besessen hatte, nur um sein Leben zu erhalten, das im Dienst der She'pan stand.
    Er weigerte sich, daran zu denken, was aus ihm geworden war, sondern dachte nur an die Notwendigkeit, auf seinen Füßen zu stehen, wieder die Kraft zum Gehen zu finden und zu ihr zu gehen, wo immer sie sich befand.
    Bis dahin würde er alles ertragen.
    Nach einer Zeit der Bewußtlosigkeit kehrte Duncan zurück, und in seinen Händen trug er ein schwarzes Kleiderbündel, das er auf den Tisch neben dem Bett legte.
    »Deine Kleider«, sagte Duncan. »Wenn du mich läßt, helfe ich dir.«
    Und das tat er, vorsichtig, freundlich, half ihm, für einen Moment zu sitzen, während seine Sinne wirbelten und grau wurden, ließ ihn dann wieder zurücksinken, eingehüllt in die vertraute Behaglichkeit des inneren Gewandes eines Kel'en, und auf Kissen gestützt.
    Duncan nahm neben ihm Platz und wartete darauf, daß er wieder zu Atem kam. »Der She'pan geht es gut«, sagte er. »Sie hat gegessen, ihre Sachen verlangt und mich weggeschickt. Ich tat es.«
    Niun schob eine Hand unter sein Gewand, wo sich eine Narbe über die Rippen zog, und wußte, daß er hätte sterben sollen. Sie beide hätten sterben sollen. »Tsi'mri-Medizin«, protestierte er mit vor Wut zitternder Stimme. Und doch wußte er, daß dieselben verbotenen Dinge sie beide am Leben erhalten hatten, und er war der mangelnden Bereitschaft zum Tode schuldig. Er war sechsundzwanzig Jahre alt; er hatte erwartet, vorher zu sterben: das taten die meisten Kel'ein,

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