Shon'jir – die sterbende Sonne
Herz klopfte, als er sich an Sil'athen erinnerte, den Verrat, den er begangen hatte. Einen schrecklichen Moment lang dachte er, daß Niun davon wußte, und redete sich dann selbst ein, daß der Mri ihm seinen ersten Besuch dort in Erinnerung rief, als er mit Erlaubnis gekommen war und in ihrer Begleitung.
»Ich erinnere mich«, sagte Duncan mit belegter Stimme. »Hast du mich wegen dem hier von diesem Teil des Schiffes ferngehalten? Und warum läßt du mich jetzt hierher?«
»Habe ich dich falsch verstanden? Bist du nicht hergekommen, um Einlaß zu suchen?«
Es lag eine Eintönigkeit in Niuns Stimme, die frostig wirkte, sogar jetzt. Duncan versuchte nicht zu antworten, wandte den Blick ab und dorthin, wo das Pan'en hinter dem Schirm ruhte, auf das flackernde warme Licht, Gold und Silber. Mri.
In diesem Raum gab es jetzt kein Echo mehr von den menschlichen Stimmen, die ihn einst beherrscht hatten, keine Erinnerung an die rauhen Scherze und die intimeren Gedanken und Impulse, die hier das Verhalten bestimmt hatten. Jetzt enthielt er das Pan'en, war ein Mri-Ort. Er enthielt Alter und die Erinnerung an etwas, das Duncan getan hatte und den Mri gegenüber nicht zugeben konnte.
»In jedem Edun des Volkes«, sagte Niun, »hat es einen Schrein gegeben, und der Schrein gehört zu den Pana. Du siehst den Schirm. Dies ist die Stätte, über die das Kel den Fuß nicht hinaussetzen darf. Nach dem, was jenseits liegt, darf das Kel nicht fragen. Es ist das Symbol einer Wahrheit, Kel Duncan. Begreife und behalte es.«
»Warum läßt du mich herein?«
»Du bist Kel'en. Selbst der letzte Kel'en hat die Freiheit, den äußeren Schrein zu betreten. Aber ein Kel'en, der das Pan'en berührt hat – der den Sen Schrein betreten hat –, er ist gezeichnet, Kel Duncan. Erinnerst du dich an den Wächter des Schreins?«
Knochen und schwarzer Stoff, ein mitleiderregendes Häufchen Sterblichkeit im Schrein: die Erinnerung kam mit kalter Klarheit.
»Die Leben von Kel'ein«, sagte Niun, »sind dafür eingesetzt worden, dies zu bewachen; andere, die es getragen haben, sind für diese Ehre gestorben, haben die Stätte geheimgehalten, den Befehlen einer She'pan Folge geleistet. Aber du hast von diesen Dingen nichts gewußt.«
Duncans Herz raste. Er sah den Mri argwöhnisch an. »Nein«, sagte er und wünschte sich fort aus diesem Raum.
Aber Niun legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn zum Schirm, kniete dort nieder, und Duncan sank neben ihm zu Boden. Der Schirm stellte eine Dunkelheit dar, die das Licht und die Form des Pan'en in diamantene Fragmente zerschnitt. Hinter ihnen ärgerten sich die Dusei, die aus ihrer Gegenwart verbannt waren.
Es herrschte Schweigen. Duncan atmete langsam aus, verstand endlich, daß keine unmittelbare Drohung existierte. Für eine geraume Weile ruhte Niun dort, die Hände im Schoß, das Gesicht zum Schirm gewandt. Duncan traute sich nicht, den Kopf zu drehen und ihm ins Gesicht zu blicken.
»Begreifst du diese Stätte?« fragte ihn Niun schließlich, ohne sich zu bewegen.
»Nein«, sagte Duncan. »Und du hast mir nicht genug Worte beigebracht, um zu fragen. Was verehrst du hier?«
»Der erste der Kel-Kaste war Sa'an.«
»... Geber der Gesetze« , nahm Duncan den Gesang auf in der Stille, die Niun hinterließ, »was den Dienst ausmachte, den er Sarin der Mutter leistete. Und das Ge setz des Kel ist eines: der She'pan dienen...«
»Das ist das Kel'es-jir «, sagte Niun. »Die Hohen Lieder haben jedes einen Rumpf, der als erstes gelernt wird. Dann wächst aus jedem Großen Wort ein Glied, ein weiteres Lied. In der E'atren-a von Sa'an gibt es einundzwanzig Große Wörter, die zu weiteren Liedern führen. Das ist eine Antwort auf deine Frage: hier lernen Kel'ein die Hohen Lieder. Hier begegnen sich die drei Kasten, obwohl sie auf ihrem Platz bleiben. Hier werden die Toten vor die Anwesenheit der Pana gelegt. Hier sprechen wir zur Gegenwart Sa'ans und der anderen, die dem Volk gegeben haben, und wir erinnern uns daran, daß wir ihre Kinder sind.« Es gab eine lange Pause. »Sa'an war nicht dein Vater. Aber beuge dich dem Kel-Gesetz, und du kannst herkommen und willkommen sein. Ich kann dich das Kel-Gesetz lehren, jedoch nicht die Dinge der Pana. Es liegt an der She'pan, sie zu lehren, wenn sie will. Es ist ein Gesetz, daß jede Kaste nur das lehrt, was sie am besten kennt. Das Kel ist die Hand des Volkes. Wir sind das Gesicht des Volkes, das die Außenstehenden sehen, und deshalb verschleiern wir
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