Shooting Stars (German Edition)
Der Gedanke daran, dass Marian Zärtlichkeiten erleben könnte, die ich nicht erlebe, ändert nichts an meiner zurückgezogenen Gleichgültigkeit. Oder nein, es ist keine Gleichgültigkeit. Ich habe das Gefühl, dass ich Dinge, die andere fühlen, bloß denken kann. Ich habe eine beinahe unüberwindbare Barriere zwischen meinem Kopf und meinem Bauch geschaffen. Und nur in wenigen Momenten, selten nur schafft es ein Gefühl, aus dem Gedankengefängnis, das ich meinen Gefühlen so sorgfältig gebaut habe, auszubrechen und sich für kurze Zeit Raum in mir zu verschaffen.
3
Es ist ein kleines, ungemütliches Zimmer, in dem ich sitze. Durch die bemüht fröhliche Farbe der Vorhänge und die Ikea-Einrichtung in diesem Zimmer sieht man ihn noch. Ich weiß nicht warum, aber den Hang zu schweren Eichenmöbeln und dunkler Einrichtung, der so viele Gästezimmer in Deutschland über Jahrzehnte verunstaltet hat, fühlt man in diesem Zimmer noch. Obwohl keines dieser Möbel mehr hier steht, spürt man diese Vorliebe der Deutschen noch. Auch wenn sie von der Hausherrin bei der Gestaltung der Zimmer nicht mitgedacht wurden, vielleicht gerade weil sie mit aller Gewalt weggedacht wurden, sind diese altdeutschen Möbel, ist dieser Hang zu Eiche und massiven Dielen nicht aus diesem Zimmer wegzudenken.
Ich beschließe einen Spaziergang zu machen. Damit ich auf keinen Fall Marian oder einem der Kinder per Zufall in die Arme laufe, setze ich mich ins Auto. Fahre 30 Kilometer weit weg.
Ich werde durch den Wald spazieren. Und nachdenken.
Es sind noch ein paar Tage. Ich habe noch ein paar Tage Zeit, bevor ich wieder weg muss. Bevor Brad und Angelina nach München kommen werden. In die Stadt, in der ich sie erwarten werde. In der man bestimmt auch mich schon erwartet.
Bevor ich losfahre, gehe ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in eine kleine Bäckerei. Ich habe Hunger und hole mir eine Kleinigkeit zu essen. Auch eine Flasche Wasser, die ich in den Wald mitnehmen kann. Eine kleine Flasche, mit einem halben Liter prickelndem Mineralwasser gefüllt.
Ich konnte es kaum fassen, aber die Bildzeitung erscheint heute mit einer schwarzen Umrandung. Wie ein Trauerflor ist ein dickes, schwarzes Band auf die Titelseite gedruckt worden.
Hört endlich auf!
titelt die erste Seite. Und die dicke Verkäuferin mustert mich argwöhnisch, während ich die Zeitung in der Hand halte.
Für einen kurzen Moment merke ich, dass mir das Blut in den Kopf schießt. Und ich habe Angst, rot zu werden, mich vor dieser Frau zu verraten, vor der ich mich gar nicht verraten kann. Denn wie könnte diese dickliche Frau auch nur auf die Idee kommen, dass ich es bin, der hinter allem steckt?
Ich nehme die
, sage ich zur ihr und halte die Zeitung in die Luft.
Und dazu ein Brioche. Und noch eine kleine Flasche Wasser
.
Sie nickt. Ein wenig zurückhaltend nickt sie, aber ich kann nichts in ihrem Verhalten sehen, das mich argwöhnisch werden lässt. Nicht argwöhnischer, als ich es ohnehin bin. Ganz ohne das Zutun der Verkäuferin.
Und noch einen Kaffee
, höre ich mich selbst sagen.
Schwarz, ohne Zucker. Wenn es geht, einen doppelten Espresso
.
Ich lächle die Verkäuferin an. Und während ich die Bildzeitung aufschlage und lese, dass Stefan eine Sendung zum Thema plant, dass er, sobald er dazu in der Lage sein wird, sich ins Studio fahren lassen und dort wieder auftreten wird, warte ich auf den heißen Kaffee.
4
In Frankreich, sogar im staatlichen französischen Fernsehen, wird ein Video gezeigt, in dem Polizisten eine Gruppe von Demonstranten verprügeln. Und obwohl das nichts Neues ist, herrscht darüber große Besorgnis. Spricht sogar der französische Innenminister darüber. Er beschwichtigt und meint, dass dies ein Einzelfall sei und dass er sich persönlich dafür einsetzen werde, diese Polizisten zu finden und sie zur Verantwortung zu ziehen.
Es sind beinahe dieselben Worte, denke ich. Beinahe dieselben Worte, die der Kleine verwendet hat, als eine Gruppe linksextremer Terroristen, wie man heute zu wissen glaubt, eigentlich ihn hatte treffen wollen, statt ihm aber Carla getroffen hat.
Und doch, obwohl der Innenminister die Nation beschwichtigen will, sieht man im Fernsehen auch Bilder davon, wie Demonstranten vor Polizeistationen stehen und brüllen. Wie einzelne an den Türen der Polizeiwachen zerren, ohne dass sie von der Staatsmacht daran gehindert werden.
Sie hoffen, denke ich, dass die Proteste von alleine wieder abebben werden. In ein paar
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