Shooting Stars (German Edition)
Tagen wird wieder Ruhe eintreten, denken sie. Und rechnen damit, dass dabei vielleicht die eine oder andere Polizeiwache, dass das eine oder andere Einsatzfahrzeug beschädigt oder zerstört wird. Aber sie greifen nicht ein. Und dafür muss es einen triftigen Grund geben. Weil sich eine Staatsmacht wie Frankreich im Normalfall nicht an den Türen rütteln lässt, ohne die Macht des Staates auf eindeutige Weise zu demonstrieren.
5
Morgen, es wird schon morgen sein, dass sich Stefan wieder vor die Kamera setzt und über die Sache sprechen wird. Darüber, wie Anke, Till und dieser Manager erschossen wurden. Und darüber, dass ich ihn nicht richtig getroffen habe. Er wird über seine Angst sprechen. Und diese Sendung wird einen ganzen Abend lang ausgestrahlt werden. Nicht über den gesamten Zeitraum mit Stefan, sagt er. Sagt nicht er direkt, aber er lässt es seinen Manager sagen. Nur eine halbe Stunde lang wird auch Stefan live dabei sein. Immerhin eine halbe Stunde, denke ich. Und obwohl ich das bewundere, obwohl ich diese Flucht nach vorne beachtlich finde, macht sie mich wütend. Überlege ich, was ich gegen sie machen könnte. Und weiß doch, dass ich nichts dagegen unternehmen kann, dass er mich mit seiner großen Geste schwächt.
Ich könnte im Studio anrufen. Ich könnte auch hinfahren. Mir, wenn es sein muss, Zutritt zum Studio verschaffen. Es wäre ein Leichtes, die paar Sicherheitsleute, die es ohne Zweifel bewachen werden, zu überwinden. Mit der richtigen Waffe in der Hand wäre es kein Problem, sie auszuschalten und dann ins Studio, direkt zu Stefan vorzudringen. Aber ich werde das nicht tun. Ich hatte meine Chance. Auch wenn mir das nicht gefällt, werde ich akzeptieren, dass er jetzt am Zug ist.
6
Wieder ist es Abend geworden und wieder stehe ich am Straßenrand, keine 30 Meter von unserem Haus entfernt. Stehe an eine Tormauer gelehnt da und beobachte sie in unserem Haus. Nein, nicht in unserem Haus. In Marians Haus. Es ist jetzt Marians Haus und es ist auch ihr Leben, denke ich. Es hat nicht mehr viel mit mir zu tun, ihr Leben. Sie alle drei haben nicht mehr viel mit mir zu tun.
Und doch drängt es mich hinzugehen. Würde ich gerne an der Türe läuten und mich selbst zum Abendessen einladen. Zu dem Essen, das Marian gerade vorbereitet. Wie gestern steht sie auch heute in der Küche, während im Wohnzimmer das kleine Licht brennt und der Fernseher läuft.
Und ein wenig, nein, im Moment gerade sehne ich mich sehr nach diesem regelmäßigen Leben mit Marian und mit den Kindern. Ich hätte es immer, erinnere ich mich, immer dann hätte ich es gerne geführt, wenn ich unterwegs gewesen bin. Und es ist mir immer missglückt, wenn ich es tatsächlich hätte führen können. Es ist uns missglückt, denke ich. Marian und mir. Aber vielleicht wegen mir, denke ich. Vielleicht weniger wegen Marian und mehr wegen mir. Auch wegen dem, was ich getan habe. Weil sich dieses ganze Elend, das ich verbreitet habe, und das ich nicht richtig wahrhaben hatte wollen, über die Hintertür in mein Leben und damit auch in Marians Leben geschlichen hat. Und in das Leben der Kinder, denke ich.
In unser Leben.
Das es nicht mehr gibt.
7
Schweden, nachdem Deutschland in den letzen Tagen genug mit meinem Anschlag zu tun gehabt hat, haben sich heute die Schweden zurück in unser Bewusstsein gerufen. Oder nicht gerufen, sie haben sich zurück in unser Bewusstsein geschossen.
Ich bin überrascht über die massive Gewalt, mit der sie vorgegangen sind. Oder nein, nicht über die Gewalt, sondern über die brutale Offenheit und ihre Vorgangsweise. Sie handeln, als ob sie es wären, die die Stärkeren sind. Im Grunde verhalten sie sich wie eine Staatsmacht. Indem sie einen Bus anhalten, aus ihren Autos aussteigen und einfach das Feuer auf den Bus eröffnen. So lange in den Bus hineinschießen, bis er nur mehr aus durchlöchertem Blech und röchelnden Leibern besteht.
Es müssen viele gewesen sein. Mindesten fünf. Wahrscheinlich aber neun oder zehn mit schweren Waffen. Und sie müssen ein diszipliniertes Team sein, sie müssen mit Bedacht vorgegangen sein. Denn der Tank des Busses wurde, soweit ich das beurteilen kann, wurde der Tank des Fahrzeugs nicht angeschossen. Und das bei der Menge an Schüssen, die abgefeuert wurden. Bei dieser Schussrate kann das kein Zufall sein. Weiß ich. Und das werden auch sie wissen. Diejenigen, die sich jetzt mit diesem Anschlag auseinandersetzen werden müssen. Die herausfinden werden müssen, wer
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