Shoppen und fischen
schlechte Freundin sei, selbstsüchtig, egozentrisch, oberflächlich. Heiße Scham durchströmte mich, denn ich musste zugeben, dass in all seinen Vorwürfen ein Hauch von Wahrheit lag. Ich sah mir die Fakten an: Ich hatte keinen Arzt, kein Einkommen, keine Freundin, keinen Kontakt zu meiner Familie. Ich hatte fast meine gesamten Ersparnisse aufgebraucht, und alles, was ich dafür vorzuweisen hatte, war ein Schrank voll hinreißender Kleider, von denen die meisten mir nicht mehr passten. Ich war nach London gekommen, um etwas zu verändern, aber im Grunde hatte ich mich überhaupt nicht verändert. Mein Leben stagnierte. Ich musste mehr tun. Für mich und für mein Kind. Ich starrte durch mein vergittertes Fenster in den tristen Londoner Nebel hinaus und gelobte, den Tag, an dem mein Baby zum ersten Mal gestrampelt hatte, zu einem Wendepunkt in meinem Leben zu machen. Ichwürde Ethan beweisen, dass ich nicht die Person war, die er mir am Abend zuvor beschrieben hatte. Ich stand auf (was allmählich immer mühsamer wurde, zumal aus der waagerechten Position auf einer weichen Luftmatratze) und fand ganz unten in einem meiner Koffer einen Notizblock. Ich riss ein Blatt heraus und schrieb: «Schritt für Schritt zu einer besseren Darcy.» Ich dachte kurz nach und ließ Ethans Rede noch einmal Revue passieren. Dann schrieb ich:
1. Zu einem Londoner Gynäkologen gehen und mich auf die Mutterschaft vorbereiten!
2. Gesünder leben – d. h. besser essen, kein Koffein, keinen Alkohol
3. Neue Freundinnen suchen (und nicht mit ihnen konkurrieren!)
4. Meiner Familie mitteilen, dass ich in London bin und dass es mir gut geht
5. Einen Job suchen (vorzugsweise einen «gemeinnützigen» Job)
6. Keine Kleider mehr kaufen (und keine Schuhe etc.) und anfangen zu sparen!
Und dann, weil da immer noch etwas zu fehlen schien, schrieb ich noch einen grundsätzlichen Punkt dazu:
7. Meinen Charakter bessern (d. h. rücksichtsvoller werden, weniger selbstsüchtig etc.)
Als ich meine Liste noch einmal las, fragte ich mich plötzlich, was Ethan wohl dazu sagen würde. Würde er meine Bemühungen loben, oder würde er verächtlich sagen: «Seinicht so naiv Darce. Du kannst nicht eine Liste aufstellen und über Nacht ein besserer Mensch werden! So funktioniert das nicht»?
Warum interessierte es mich eigentlich so sehr, was Ethan dachte? Ein Teil meiner selbst wollte ihn hassen. Dafür, dass er Partei für Rachel ergriff. Dafür, dass er mich angelogen hatte. Dafür, dass er so furchtbare Dinge zu mir gesagt hatte. Aber ich konnte ihn nicht hassen. Auf eine bizarre und unerwartete Weise wollte ich eigentlich nur mit ihm Kontakt haben oder wenigstens versuchen, seine Meinung über mich zu ändern.
Ich holte einmal Schwung und stand auf. Dann ging ich durch die Diele zu Ethans Zimmer. Er war schon weg. In der Küche schlug ich mir ein gesundes Eiweiß-Omelette auf. Dann warf ich einen Blick auf meine Liste und beschloss, die Wohnung zu putzen. Ich wischte und saugte Staub, schrubbte die Toilette, brachte den Abfall hinaus, wusch zwei Ladungen Wäsche in seiner lächerlich kleinen Waschmaschinen-Trockner-Kombination (die Briten haben erbärmliche Dritte-Welt-Haushaltsgeräte), stapelte seine Zeitschriften und Zeitungen ordentlich und moppte den Küchenboden.
Als alles blitzsauber war, schrieb ich meiner Mutter einen kurzen Brief mit der Nachricht, dass ich bei Ethan in London wohnte. «Ich weiß, wir sind zurzeit nicht glücklich miteinander», schrieb ich, «aber ich möchte trotzdem nicht, dass du und Daddy euch Sorgen um mich macht. Mir geht es gut.» Dann setzte ich Ethans Telefonnummer als PS darunter, falls sie mich anrufen wollte. Ich klebte den Brief zu und frankierte ihn. Dann duschte ich und ging hinaus in den Londoner Nieselregen und die Kensington Church Street hinauf nach Notting Hill. Ich widerstand dem Drang, auchnur in einem einzigen Geschäft irgendetwas zu kaufen; die Kraft dazu gab mir meine Liste, die dreimal säuberlich zusammengefaltet in meiner Manteltasche steckte. Ich ging sogar in den Secondhandshop einer Wohltätigkeitsorganisation und fragte nach einem Job. Sie hatten keine Stelle frei, aber ich war stolz, dass ich es versucht hatte.
Auf dem Heimweg machte ich kurz Rast in einem Coffeeshop; ich bestellte einen koffeinfreien Latte und ließ mich in einen großen Polstersessel sinken. Auf der Couch neben mir saßen zwei Frauen, blond und brünett, die ungefähr in
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