Shopping and the City
entgegenzustürzen, als mitten aus dem Chaos unvermutet eine Hand zu mir hinunterlangte.
»Haben Sie sich wehgetan?«, fragte eine besorgte Stimme. Ich blickte in das Gesicht des zweit-traumhaftesten, bestgekleideten Mannes, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Ich war gestorben, und dies war der Himmel, und er war der Engel, der mich dorthin gebracht hatte. Sein maßgeschneidertes weißes Hemd stand am Kragen weit offen und erlaubte einen kleinen Einblick auf seinen schlanken, muskulösen Körper. Sein gebräuntes Gesicht leuchtete. Es war NICHT die typische nussbraune Coney-Island-Beach-Club-Bräune oder die berüchtigte Sprühvariante in Tara-Reid-Orange oder die goldene »Wir sehen uns in Palm Beach, und vergiss nicht, deinen Michael-Kors-Kaftan mitzubringen«-Version. Er leuchtete von innen heraus. Seine Augen waren von einem tiefen Meerblau, und sein klassisch
geschnittenes Gesicht verlieh seinen Zügen etwas Aristokratisches. Sein glänzendes schwarzes Haar war länglich und lässig gekämmt und seine leuchtend blaue Ozwald-Boateng-Hose makellos gebügelt.
»Lassen Sie mich Ihnen helfen«, bot er an und streckte mir abermals seine Hand hin. Ich wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken, als ich in die Realität zurückkehrte. Ich versuchte eilig, mich so gut es ging wieder zu fassen, strich meinen schmutzigen 1200 – Dollar-hätte-ich-den-empfohlenen-Verkaufspreis-be- zahlt-Rock glatt und wischte meine aufgerissenen und absatzlosen Lanvins ab. Ich zitterte schlimmer als Britney Spears’ Chihuahua. So gern ich diesen traumhaften römischen Gott-Engel auch näher kennengelernt hätte, steckte ich leider in einer misslichen Lage, die dies unmöglich machte.
Und jetzt bitte das Gehirn einschalten !, befahl sich mein benebelter Verstand, während der Fremde mir auf die Füße half.
»Wissen Sie, wie spät es ist?«, brachte ich mit Mühe heraus. Er schaute auf eine absolut göttliche Chaumet-Armbanduhr.
»Es ist fünf nach zwölf.« Seine Stimme war sanft, doch männlich.
»Ähm, danke … ich komme zu spät. Vielen Dank noch mal«, flötete ich und humpelte in die Nummer 550 Seventh Avenue hinein.
D urch die Eingangstüren von Hautelaw zu treten war so, als würde man nach Oz kommen. Auch wenn meine roten Schuhe nicht mehr ganz wiederzuerkennen waren, fühlte ich mich doch sofort wie zuhause.
Auf den Milchglasscheiben der schweren Doppelflügeltür prangten verschnörkelte Buchstaben, die das Wort HAUTELAW bildeten. Die Einrichtung jenseits der Tür war atemberaubend. Der dunkle pflaumenblaue Teppichboden, der so lindernd weich unter meinen müden Füßen war, bildete einen eindrucksvollen Kontrast zu den ganz mit vanillefarben geprägtem Glacéleder bespannten Wänden. Farblich passende, lederbezogene Sitzbänke muteten so weich wie meine Chanel-Pochette an. Die indirekte Beleuchtung war so ausgerichtet, dass alles funkelte und strahlte. Selbst die Lufttemperatur war perfekt, und ich roch eindeutig einen Hauch von Zitronenverbene, was in krassem Gegensatz zu meinem eigenen Geruch stand, der bei genauerer Überlegung eine widerwärtige Mischung aus Schweiß, Dreck und Hot Dogs sein musste.
Ich war unendlich erleichtert, die Straße hinter mir gelassen zu haben, obwohl ich die düstere Ahnung hatte, dass es nur ein Tausch gegen eine andere Art von Wahnsinn war. Alles im Innern der Geschäftsräume von Hautelaw war ein verschwommenes Durcheinander. Fashionistas eilten hin und her, während ich mich zum Empfang begab. Jeder schien damit beschäftigt, E-Mails zu lesen und gleichzeitig Anrufe entgegenzunehmen. Aus dem Stegreif wurden Besprechungen
abgehalten: Creative Directors, Fotografen, Designer, Farbstylisten, Grafiker, Vertreter und Redakteure begegneten einander, plauderten und kehrten dann zu dem zurück, was sie ansonsten taten. Die Atmosphäre war völlig unbeschreiblich, und ich entschied auf der Stelle, dass Hautelaw einfach meine alltägliche Existenz für die nächsten drei Monate werden musste!
Als ich mich dem großen runden Empfangstresen näherte, stieg mir ein Hauch von Moschus in die Nase.
»Hallo«, sagte ich kleinlaut flüsternd zu dem knackigen Burschen am Empfang. »Ich habe einen Termin mit Spring Sommer.« Wortlos gab er mir ein Zeichen, mich hinzusetzen, und ich sank in einen Sessel in der Ecke, der so weit wie möglich außer Sicht war, was natürlich unmöglich war, denn ich war wie ein Igitt -Magnet, der abschätzige Blicke nur so anzog. Vielleicht dachten sie,
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