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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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meiner Frau lasse. Ich meine …«
    Die Jukebox spielte ein langsames Lied. Und in diesem Augenblick schien zwischen ihm und mir für einen Moment die Zeit zu erstarren. Für alle anderen dort blieb das Gefüge der Welt unverändert, war so, wie es immer schongewesen ist, aber zwischen uns trennte sich lautlos etwas ab, eine Art Verwerfung, wie eine kleine Landmasse, die von der Küste abbricht und aufs Meer hinausgetragen wird. Und ich war trauriger, als ich es je zuvor gewesen war. Und einsamer. Weil ich in diesem Augenblick wusste, dass wir zwar Freunde bleiben konnten, aber auch, dass ich ihm nie wieder vertrauen würde, ihn nie wieder in Beths Nähe lassen konnte. Das Leben hatte seinen Lauf genommen. Entscheidungen waren getroffen worden.
    Joyce kam mit schwabbelnden Armen zu uns zurück – sie trug eine Kanne Bier in der einen Hand und drei Schnapsgläser in der anderen, die mit irgendeiner ahornsirupähnlichen Flüssigkeit gefüllt waren. Sie stellte alles auf dem Tresen ab und verteilte dann die Schnapsgläser: Eins für Lee, eins für mich und eins behielt sie selbst in der Hand.
    »Hoch die Tassen«, sagte sie und kippte ihren Drink hinunter.
    »Salut!«, bellten wir einstimmig. Wir tranken unsere Gläser in einem Zug aus und knallten sie dann auf das Holz des Tresens.
    »Holla!«, sagte Lee.
    »Das macht zehn Dollar«, sagte Joyce.
    Ich gab ihr das Geld. Sie lehnte sich über die Bar zu uns herüber und sagte: »Ich mein’s ernst, Jungs, trinkt euer Bier aus und dann macht, dass ihr hier rauskommt. Ihr zwei verscheucht mir sonst noch die anderen Gäste. Alles klar? Also, seht zu, dass ihr ’ne Fliege macht.«
    Wir tranken die Kanne so schnell wir konnten aus, ließen beim Anstoßen wütend unsere Gläser aneinanderklirren, als wollten wir sie zerschmettern oder uns gegenseitig die Handgelenke brechen, traurig und haltlos, wie Schiffe,die man vom Anker losgemacht hat. Um uns brandete der Lärm der Bar.
    »Was wir jetzt brauchen«, sagte Lee, »ist irgendein Ablenkungsmanöver.«
    »Ich habe keine Ahnung, wie wir das hinkriegen sollen.«
    »Du könntest eine Prügelei anfangen.«
    »Nein. Das ist doch lächerlich. Ich will nach Hause. Wie spät ist es überhaupt?« Ich sah auf meine Uhr – 23 : 39 .
    »Wart mal ’ne Minute.«
    »Was?«
    »Ich hab eine Idee.«
    Er stand auf, schlich sich zu der Jukebox und suchte in den Taschen seiner Jeans nach etwas; nach irgendwelchem übriggebliebenen Kleingeld, wie ich annahm. Dann gab er einen Buchstaben und eine Nummer ein, und schon nach den ersten paar Tönen, die aus dem alten Gerät kamen, wusste ich, dass es A1 war, das allererste Lied auf dem Album, das unser Soundtrack gewesen war an so unendlich vielen Sommernächten unserer Teenagerzeit. Ich schüttelte den Kopf. In einer Kleinstadt kann man sich vor nichts und niemandem verstecken.
    Mittlerweile hatte sich Lee auf einen Stuhl im hinteren Teil der Bar gestellt und rief in seinem tiefen Bariton laut in den Raum: »He! Hallo! Hört mal zu, Freunde! Hat irgendjemand Lust, mit mir zusammen zu singen? Irgendjemand? Weil, das hier ist nämlich der verdammt beste Song, den es je gegeben hat, und ich würde ihn gerne jetzt und hier mit euch singen.«
    Eine Gruppe von vielleicht vier oder fünf Frauen, die alle etwa Mitte fünfzig oder sechzig waren, scharten sich um ihn, während sich zu den ersten Klavierklängen des Liedes das Schlagzeug und die Bassgitarre gesellten unddieser amerikanische Klassiker seinen Lauf nahm … Er zwinkerte mir zu, machte eine Bewegung zu dem Glas hin, und wahrhaftig, Joyce stand am anderen Ende der Bar, schaute ihm zu und hatte mir den Rücken zugekehrt.
    Und da kroch ich tatsächlich hinter den Tresen, auf Zehenspitzen, was gar nicht nötig gewesen wäre, und den Anflug eines Lächelns im Gesicht, das ich mir irgendwie nicht verkneifen konnte, kroch immer näher und näher heran an dieses absurde riesige Glasgefäß voller eingelegter Eier, während ich dachte: Das ist doch Wahnsinn. Was zum Teufel tust du da gerade?
    Und die ganze Zeit sang der Jukebox-Chor:
    I was a lonely, teenage broncin’ buck
    With a pink carnation and a pickup truck
    But I knew I was out of luck
    The day the music died
    Dann zeigte Lee auf mich, während er im Takt mit dem Kopf nickte und mit dem Mund die Worte »Jetzt! Jetzt! Jetzt! Schnapp dir das Glas!« formte. Und dann zog er eine wahre Show ab, lenkte sie alle ab, indem er lauter Biergläser umwarf, Queues durch die Gegend schmiss und ein paar der

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