Shotgun Lovesongs
einer Wolke schwarzblauer Abgase von der Straße. Der Wagen mühte sich fast widerwillig die nicht enden wollende Auffahrt hinauf und ich strich ihm liebevoll übers Armaturenbrett; schließlich hatte er mich nach Hause gebracht. Über mir formten die herbstlich gefärbten Ahornbäume einen Baldachin, einen Tunnel aus Feuer – ein einziges orangerotes, gelbes Glühen, mit letzten Einsprengseln von Grün. Ich kurbelte das Fenster ganz hinunter, legte meinen Ellbogen auf die Tür, obwohl es draußen ziemlich kalt war, und atmete tief die Luft ein.
Zu Hause .
In den Schlaglöchern aus Kies und Erde stand das Regenwasser, und ich versuchte, mit den Reifen des Umzugswagensjedes einzelne davon zu treffen. Ich habe dieses spritzende Geräusch schon immer geliebt und das Gefühl, wenn die Federung unter meinem Sitz hüpft und ächzt. Langsam, Meter um Meter näherte ich mich meinem Haus und der Wiese und den Bäumen, die ich selbst gepflanzt hatte, und dem Bach, der dahinterlag.
Ich entspannte mich, spürte, wie sich meine Schultern lockerten, meine Augen sich weiter öffneten. Ich hatte mich seit Monaten nicht mehr so gefühlt.
Hatte mich nicht mehr gesund gefühlt.
Zu Hause .
Der Wald öffnete sich zur Wiese hin, und in dem Licht des frühen Morgens konnte ich erkennen, dass sich an einigen Stellen die Sommergräser und die Himbeersträucher schon gelbbraun verfärbt hatten. Und dann, sieh nur: eine Schar von einem Dutzend oder mehr Rehen, die Ohren plötzlich gespitzt, die weißen Schwänzchen wie Warnsignale aufgerichtet. Was mochten sie denken, während sie auf dieses große, kastenförmige, unbekannte Fahrzeug starrten? Erkannten sie mich wieder? Ich sah, wie ihre Haut und Muskulatur vor Angst und Aufregung zuckte. Ich winkte ihnen zu, wie der letzte Trottel, winkte, wie man es tut, wenn man weiß, dass man allein ist, und brüllte aus dem Fenster: »He, Rehe! Ich bin wieder da! Lee ist wieder da!« Da sprangen sie davon.
Ich muss einen Salzblock auf die Wiese stellen , dachte ich. Ich werde Gesellschaft brauchen .
Ich parkte den Umzugswagen vor dem Haus und ging zur Eingangstür. Dann hantierte ich mit den Schlüsseln herum, schloss auf und ließ die Tür weit offen stehen, damit ich ein paar Fuhren hineintragen konnte. Ich streckte mich, ächzte, kratzte mir den Kopf und wollte eigentlichnur noch unter die Dusche, mir die Zähne putzen und ein Glas mit kaltem Wasser trinken. Das Wasser schmeckt besser hier, schmeckt überhaupt nach etwas – nach Eisen , dachte ich. Aber vielleicht schmeckt es auch eher nach dem, was fehlt. Es fehlt der Geschmack nach Chlor und Schwefel, der Geschmack, der entsteht, wenn etwas Tausende Male wiederaufbereitet wurde. Draußen waren die Rehe ganz vorsichtig zurückgekehrt und sammelten sich im Schatten der Bäume, die die Weide säumten. Es gab so viel zu tun und gleichzeitig war nichts zu tun. Am liebsten hätte ich mir einfach nur eine Tasse Kaffee gemacht, mir auf der Veranda eine Zigarette angezündet und dann vielleicht nachgeschaut, ob der alte Traktor noch ansprang. Ich lief bestimmt fünf Minuten in der Diele im Kreis herum, einfach nur wahnsinnig glücklich, wieder zu Hause zu sein.
Zu Hause .
Die Luft im Haus roch abgestanden. Überall lagen tote Fliegen auf den Fensterbänken und auf dem Boden. Alles war mit einer Staubschicht überzogen: die Möbel, meine Bücher, der Fernsehschirm. Ich drehte den Wasserhahn in der Küche auf, aber die Rohre gaben nur ein heiseres Husten von sich, als hätten sie mir etwas mitzuteilen, wären aber nicht ganz sicher, ob sie es auch aussprechen sollten. Mir fiel ein, dass ich das Wasser abgestellt hatte; ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, so bald schon wieder zurückzukehren. Aber es war anders gekommen. Ich ging in den Keller und stellte das Wasser wieder an, hörte, wie der Hahn in der Küche spuckte und krächzte und wie sich das Wasser erst stockend und dann immer stetiger in die Spüle ergoss. Ich konnte hören, wie im ganzen Haus die Rohre ooohhh und aaahhh sagten, als seien sie glücklich, mich wieder zurückzuhaben. Ich stieg die Treppe langsam wieder hoch. Meine Muskeln im Rücken und im Hintern warenimmer noch ganz verkrampft und taten höllisch weh. In der Küche summte und brummte der Kühlschrank wie ein Dudelsack. Ich öffnete ihn, um nach Bier Ausschau zu halten. Da war tatsächlich eins! Ein Leinenkugel’s! Ich trank in durstigen Zügen, wie ein Mann, der gerade der Wüste entkommen war.
Bei meinem Gang
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