Shotgun Lovesongs
auf sie war, auf Beth, auf mich. Ich glaube,ich kann sagen, dass er glücklich war, wenn er mit meiner Mutter zu unserem Haus kam, meine neue Ausrüstung beäugte und mit dem Kopf nickte, während ich über Ertragssteigerungen bei der Ernte oder eine höhere Milchproduktion sprach.
Aber er hatte keine Freunde. Es geschah sehr selten, dass ihn jemand anrief. Und ich glaube nicht, dass er sich überhaupt Freunde gewünscht hätte. Ich glaube nicht, dass er einsam war. Wenn ich an meinen Vater denke, dann beeindruckt es mich, wie hingebungsvoll er sich der Farm widmete und auch meiner Mutter und uns Kindern. Wir waren sein Leben; wir waren seine Freunde. Wenn er sich sonntags ein Footballspiel anschaute, eine Dose Walter’s-Bier öffnete, einen Teller mit Käse und Kräckern auf seinem Bauch balancierte und die Green Bay Packers anfeuerte, dann war ich es, der neben ihm saß, der das Team mit ihm zusammen anfeuerte. Wenn er jemanden vor Begeisterung abklatschen wollte, dann war es meine kleine Hand, nach der er zielte. Wenn ihm danach war, zu tanzen oder zu singen, dann griff er sich meine Mutter und drehte sich mit ihr in einem unbeholfenen Walzer oder einer Polka durch die Küche. Wenn er über Politik reden wollte, tat er das mit mir oder meiner Schwester, zeigte mit dem Finger auf uns, ruhig und geduldig, und sagte: »Ob rechts oder links, ist mir egal. Das ist alles Unsinn. Das Einzige, was ich von euch verlange, ist: Seid freundlich. Seid anständig. Und seid nicht gierig.«
Mein ganzes Leben lang, dreiunddreißig Jahre, fühlte es sich so an, als sei ich nie ohne einen Freund gewesen. Sie waren immer um mich herum, immer da. Und vielleicht hat das mein Leben – unser Leben – ja auch bereichert. Ronny, der auf die Kinder aufpasst, oder Lee, ja, verdammtnoch mal, Lee, der zu uns zum Essen kommt und meiner Tochter auf der Gitarre etwas vorspielt, ihr die Akkorde zeigt und ihre kleinen Finger an die richtige Stelle legt. Mein Vater hatte so etwas nie. Und als Kinder hatten auch wir das nicht.
Aber jetzt frage ich mich, ob wohl mein Vater deswegen keine Freunde hatte und nicht mit anderen Leuten verkehrte, weil es immer ein Vabanquespiel ist, einen anderen Mann an sich ranzulassen, einen anderen Mann in dein Haus einzuladen. Denn wenn es um Männer und Frauen geht, um Sex, dann kann man wahrscheinlich niemandem trauen. Dann ist womöglich jeder ein Tier. Du denkst, du kennst jemanden, aber eigentlich kannst du niemanden wirklich je kennen. Du kannst unmöglich jede Veränderung beobachten, die im Blick einer Person vor sich geht, während deine Frau sich bückt, um einen fallengelassenen Löffel aufzuheben, oder sich vorbeugt, um die Spülmaschine auszuräumen. Wenn ich jetzt an die vielen Gelegenheiten denke, bei denen Lee uns besucht hat, dann fühlt es sich so an, als wäre er widerrechtlich in mein Haus eingedrungen, als hätte er mich beleidigt und angelogen.
Nein, am sichersten ist es, eine Insel zu sein. Das eigene Haus zu einer Festung zu machen, die einen vor all dem Unrat und der Hässlichkeit schützt, die es in der Welt gibt. Wie sonst kann man sich jemals noch einer Sache sicher sein?
Nach Lees Hochzeit fing ich wieder mit dem Malen an. Das erste Mal seit der Highschool. Ich kann nicht genau erklären, warum. Vielleicht lag es an diesem Museumsbesuch oder dem Gespräch mit Beth, ich weiß es nicht. Ich konnte einfach nicht anders. Ich versteckte eine Staffelei, einePlastiktüte voll Ölfarben und einen Satz Pinsel in der hintersten Ecke meines Geräteschuppens. Wenn ich dann die Kinder zur Schule gebracht hatte, ging ich hinaus zum Schuppen und malte in dem wenigen Licht, das es dort gab. Manchmal packte ich mein Malwerkzeug auch in einen Rucksack und ging woandershin. Raus, weit raus, weg von den Straßen und weit genug entfernt, dass Beth nie auf die Idee gekommen wäre, mir zu folgen. Ich stopfte mir eine kleine zusammenklappbare Staffelei unter die Jacke, zog kniehohe Gummistiefel an und trottete über die brachliegenden Herbst- und Winterfelder. Ich bin mir sicher, dass Beth an manchen Vormittagen am Fenster gestanden und sich gefragt hat: Wo geht er bloß hin? Was zum Teufel macht er da? Vielleicht dachte sie, ich würde hier draußen nach Pfeilspitzen suchen oder mit meinem Kaliber-.22-Gewehr irgendwelche schädlichen Tiere abknallen. Vielleicht dachte sie auch, dass ich einfach nur allein sein wollte – was ja auch stimmte. Sie schien es nie zu bemerken, wenn ich mir später am
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