Shotgun Lovesongs
Nachmittag in der Küche die Farbe von den Händen wusch oder mir am Abendessenstisch mit einem Taschenmesser die getrocknete Farbe unter den Fingernägeln wegkratzte.
Ich kaufte einen kleinen Campingstuhl, ging zu einer Stelle jenseits des vom Gletschereis geformten Hügelkamms, setzte mich hin und malte den Bach, der durch unsere Felder fließt. Ich malte die Pyramidenpappeln und abgestorbenen Ulmen und die Schwarzpappeln, die den Bach säumen, wie umgedrehte Stützpfeiler. Meistens war auf meinen Bildern aber nur der Himmel zu sehen – breite Schwaden aus violett und blau, die sich wie ein Bluterguss über die Leinwand zogen, aber schon das Weiß und Grau erahnen ließen. Ich nehme an, ich habe deshalb den Himmelgemalt, weil ich nicht gut genug war, um die Gegenstände auf der Erde überzeugend wiederzugeben. Und wann immer ich mit einem Bild fertig war, machte ich ein Feuer, um das Gemälde sofort einzuäschern. Ich warf die noch feuchte Leinwand in die Flammen, zusammen mit unserem Hausmüll, alten Reifen oder anderem Abfall, der sich auf der Farm anhäufte. Ich hasste die meisten meiner Bilder und ich wollte auch niemandem von meinem kleinen Hobby erzählen. Bis dahin hatte ich nur zwei Gemälde vollendet, die ich für einigermaßen gelungen hielt. Ich fuhr mit ihnen zu dem St.-Vincent-Wohltätigkeitsladen um die Ecke von der Hauptstraße und stiftete beide Bilder. Arnold, dem Geschäftsführer, erzählte ich, sie hätten einem Großonkel von mir gehört, der vor kurzem gestorben sei.
In den darauffolgenden Wochen ging ich hin und wieder in den Laden und schaute nach meinen Bildern, wenn ich gerade auf dem Weg zur Hauptstraße war, um Briefmarken oder Lebensmittel oder Benzin oder Toilettenpapier zu kaufen. Arnold hatte sie an eine beigefarbene Wand über ein grässlich gemustertes Sofa gehängt. In gewisser Weise war es ein sehr gut zusammenpassendes grellbuntes Ensemble: zwei Gemälde und ein Möbelstück, die allesamt so hässlich waren, dass sie unweigerlich in irgendeiner Fischer- oder Jagdhütte landen würden, aber gewiss nicht in jemandes Zuhause. Ich hatte mir geschworen, dass ich, falls eins von diesen Bildern länger als ein Jahr dort hängen sollte, es kaufen und ebenfalls einäschern würde.
Aber dann, eines Tages, war eines der Bilder verschwunden.
Ich ging zu Arnold an die Kasse und bezahlte eine Duke-Ellington-LP, die in einem einigermaßen guten Zustand war.
»He, Arnold, wer hat denn eins von diesen Bildern gekauft, die ich dir gebracht habe? Weißt du das noch?«
Er ließ das Wechselgeld in meine aufgehaltene Hand fallen und zuckte mit den Schultern. »Das muss am Wochenende verkauft worden sein. Ich war nicht hier, bin mit dem Schneemobil herumgefahren, irgendwo bei Hurley. Da müsstest du Brenda fragen. Die hat in der Zeit an der Kasse gestanden. Soll ich ihr einen Zettel schreiben?«
»Nein«, sagte ich, »ist schon okay.« Während ich den Laden verließ, schaute ich auf die leere Stelle an der Wand, wo eins meiner Bilder gehangen hatte. Ich fragte mich, wer so dämlich gewesen war, es zu kaufen.
Die einzige Freundschaft, die meinem Vater je etwas bedeutet hat, war die meiner Mutter. Sie waren beste Freunde. Man konnte deutlich sehen, wie viel sie einander bedeuteten. Wie viel Liebe zwischen ihnen war, wie diese Liebe über die Jahre gewachsen und zu etwas anderem geworden war als vorher, als in der Zeit, als es uns Kinder noch nicht gab, oder sogar nachdem wir aus dem Haus waren; wie diese Liebe immer noch da war, in ihnen selbst, und in dem Haus, das sie nun wieder allein miteinander teilten.
Wenn ich darüber nachdenke, dann denke ich: Daran bist du selbst schuld. Du kanntest deine eigene Frau nicht und auch nicht deinen besten Freund. Wenn sie das Gefühl gehabt hätte, dir alles anvertrauen zu können, dann hättest du schon vor Jahren die Wahrheit erfahren. Dann hätte es nicht dieses Erdbeben gegeben, nicht diese plötzliche Enthüllung eines Geheimnisses, nicht diese schreckliche Bombe, die auf dein Herz gefallen ist.
Wir glauben, die Welt sei ein fester, verlässlicher Ort; ein Ort, der unter unseren Füßen seine Bahnen durch das All zieht, Tag und Nacht, im Regen und Sonnenschein.Und dann, eines Tages, fällst du einfach von diesem Planeten herab und treibst davon, hinaus in den Weltraum, und alles, was du die ganze Zeit für wahr gehalten hast, all die Gesetze, die dein Leben bisher bestimmt haben, die Regeln und Normen, die dafür gesorgt haben, dass den Dingen ein
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