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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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Zügen aus. Ich hatte gerade meiner einzigen Freundin den Rat gegeben, hier wegzuziehen, und es klang fast so, als hätte ich mir diesen Rat damit selbst gegeben.
    »Ich weiß nicht«, sagte Felicia. »Ich muss darüber nachdenken.« Sie senkte den Blick.
    Wir saßen da und schwiegen. Die ersten alten Männer betraten die Bar. Es war Montag Abend, sie kamen, um sich das Footballspiel anzuschauen. Die Packers gegen die Vikings. Es würde hoch hergehen in der Bar, ein wilder Rausch aus Grün und Gold.
    »Lass uns hier verschwinden«, sagte ich.
    Felicia rutschte von der Bank, stand auf und schwankte. »Ich glaube nicht, dass ich noch fahren kann«, sagte sie.
    »Ich rufe Henry an«, sagte ich.
    »Wie spät ist es?«
    Meine Uhr ließ sich in dem Dämmerlicht nur schwer erkennen, aber es schien vier oder fünf zu sein.
    »Es kommt mir so vor, als würden wir jedes Mal, wenn wir uns treffen, viel zu viel trinken«, sagte Felicia.

Von hier oben kann man fast die Krümmung der Weltkugel erkennen. Es ist wunderschön. Die Welt erstreckt sich vor dir bis in die Unendlichkeit. Als ich noch in Chicago wohnte, stieg ich samstags morgens manchmal in meinen Mustang und fuhr durch die Gegend. Ich stand auf, bevor die Stadt erwachte, und fuhr einfach Richtung Westen, fuhr und fuhr, während in meinem Rückspiegel die Sonne aufging. Als wollte ich dem Tag entkommen und wieder in die Nacht eintauchen. Ich ließ diesem gewaltigen Motor freien Lauf und rauschte durch Illinois, über das flache Land mit seinen Feldern aus schwarzer Erde, seinen seltsamen vergessenen Kanälen und trägen Flüssen. Vorbei an schmierigen Fernfahrerlokalen und Müllhalden, an Städten, die es zu nichts gebracht hatten. Ich hielt an, um zu tanken, und klappte das Verdeck herunter, mit dem riesigen blauen Himmel über mir.
    Einmal, an einer Tankstelle im westlichen Illinois, nicht weit vom Mississippi, kam ein alter Farmer auf mich zu und gratulierte mir zu meinem Auto.
    »Wo soll’s denn noch hingehen?«, fragte er.
    Ich erinnere mich, dass ich mit den Schultern zuckte und ganz lässig sagte: »Ach, ich versuche einfach, bis Montag Morgen so weit zu kommen, wie ich kann.« Bevor ich wieder zurück sein musste. Ich war damals Junggeselle – sowie ich es jetzt ja vielleicht auch wieder bin. Mein Apartment im Hancock-Gebäude war sehr spartanisch eingerichtet und strahlte eine gewisse Kühle aus, wie eine Wabe in einem Bienenkorb aus Zement und Stahl.
    »Wo sind Sie her?«, fragte er.
    »Chicago«, antwortete ich und wies mit dem Daumen hinter mich. Auch wenn ich nicht wirklich aus Chicago stammte. Sondern aus Little Wing, Wisconsin. Eine vollkommen unbedeutende Kleinstadt, so wie die, in der ich gerade stand, ein kleiner Fleck auf der Landkarte, der zu jener Zeit noch nicht als Corvus’ Heimatstadt bekannt geworden war – die Heimatstadt von Amerikas berühmtestem flanellhemdentragendem Indie-Troubadour. Damals war es einfach nur ein Dorf im Mittleren Westen, das harte Zeiten durchmachte, mit einer verfallenden Mühle neben ein paar rostigen Bahnschienen.
    »Das ist bestimmt schön«, sagte der Farmer, »so frei zu sein, keine Verpflichtungen zu haben. Fahren zu können, wohin man will. Und wann man will.«
    Der Wind wehte eine Plastiktüte zwischen uns hindurch auf einen Stacheldrahtzaun zu, in dem sie sich unweigerlich verfangen würde. Ich nickte und wäre jetzt eigentlich gerne weitergefahren. Aber die Zapfsäule pumpte das Benzin unendlich langsam, als wäre der tief unter unseren Füßen im Boden vergrabene Tank bereits leer. »Sie sind Farmer?«, fragte ich.
    Er nickte: »Soja.« Dann rückte er seine Mütze zurecht und spuckte auf den kiesbestreuten Asphalt zwischen seinen Stiefeln.
    Ich gab ihm meine Visitenkarte. Das hatte ich mir so angewöhnt. In meinem Handschuhfach war ein ganzer Karton voll Karten und auf dem Rücksitz lag ein zweiter.Ich verteilte meine Karten auf Cocktailpartys, bei Baseballspielen und Bar-Mizwas. Ich habe Kollegen – andere Broker – sagen hören, sie würden ihre Karten niemals einfach so jemandem geben. Sie behaupten, das Geheimnis bestünde darin, im anderen ein so großes Interesse an dir und deinem Tun zu wecken, dass er sich irgendwann nichts sehnlicher wünschen würde als deine Visitenkarte. Aber eine solche Strategie war nie mein Ding. Ich war stolz darauf, wer ich war, stolz darauf, was ich tat; stolz, dass ich es in meinem Leben an einen Punkt gebracht hatte, wo ich tatsächlich Visitenkarten verteilen

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