Showdown
»kranke Mann Europas«. Wir waren zu wenig wettbewerbsfähig, hatten verkrustete Arbeits- und Sozialstrukturen, so hieß es. Bis zu Schröders Agenda 2010 hat Deutschland all das falsch gemacht, was wir heute von unseren Nachbarn fordern. Der damalige Finanzminister Hans Eichel (wegen seiner Sparpakete der »Eiserne Hans« genannt) hatte den Gürtel immer enger geschnallt, Staatsausgaben reduziert und Steuern und Abgaben angehoben. Die Folge war jedoch keine Haushaltskonsolidierung, sondern eine stagnierende Wirtschaft und drastisch steigende Arbeitslosenzahlen von fünf Millionen Bundesbürgern. Deutschland war in einer Abwärtsspirale gefangen und sollte laut Brüsseler Einschätzung weiter sparen. Doch dann kam Schröder und durchbrach den Teufelskreis. Man kann zu jener Agenda 2010 stehen, wie man möchte. Sie ist zweifellos streitbar und war ein Kotau vor der Industrie, wie wir später noch sehen werden. Sie hat viel Negatives, aber eben auch viel Positives bewirkt. Diese Reformen hier zu diskutieren würden unseren Rahmen sprengen. In jedem Fall hat Schröder für sich erkannt, dass blindes Sparen der falsche Weg war. Er erkannte zudem, dass er Deutschland reformieren musste, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und zu erhalten. Dazu wollte er die Sozialsysteme modernisieren (Hartz IV etc.) und die Arbeitsmärkte liberalisieren. »Fördern und Fordern« lautete das Motto der Stunde. Wie weit das geglückt ist, dazu hat jeder seine eigene Erfahrung.
Doch nehmen wir einige Elemente seiner Reformpolitik heraus, und bitte denken Sie dabei immer parallel an die Forderungen, die wir momentan an Griechenland stellen:
Schröder
Forderung an Griechenland
Aufbrechen der Handwerksordnung Eröffnen von Betrieben auch ohne Meisterbrief
Aufbrechen diverser Monopole wie Taxilizenzen oder Lkw-Lizenzen, um mehr Selbständige zu ermöglichen
Lockerung des Kündigungsschutzes
Lockerung des Kündigungsschutzes
Senkung der Lohnnebenkosten
Senkung der Löhne
Kürzung der Arbeitslosengelder (Hartz IV )
Kürzung der Arbeitslosengelder
Kürzung der gesetzlichen Renten (Riester-Konzept)
Kürzung der Renten
Und tatsächlich ist es Schröder damit gelungen, Deutschland wieder wettbewerbsfähiger zu machen – auch gegenüber Griechenland und anderen europäischen Staaten.
Das ist doch recht verblüffend. Drängt sich hier nicht die Erkenntnis auf, die Griechen müssten nur endlich auch mal richtig diese Reformen umsetzen, dann klappt es auch mit der Wirtschaft!?
Nicht ganz. Denn dabei würden wir einen wesentlichen Faktor des Schröderschen Handelns übersehen. Ihm war vollkommen klar, dass diese Reformen nur funktionierten, wenn er sie mit Konjunkturpaketen unterstützen würde. Ansonsten würden die Reformen in die Katastrophe führen. Folglich unterstützte er die Reformen mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen. Spezielle Ausbildungsangebote für Jugendliche, Erhöhung der Bildungsausgaben um 25 Prozent innerhalb von fünf Jahren, mehr BAföG für Studenten, vier Milliarden Euro Investitionen im Bildungssystem, Einführung von Steuervergünstigungen für Haushaltshilfen und Kinderbetreuung. Dazu kamen nennenswerte Ausgaben für Infrastruktur und Straßenbau.
Mit den Reformen war die EU -Kommission in Brüssel sehr einverstanden, aber mit den Konjunkturpaketen absolut nicht. Brüssel bestand darauf, dass Schröder weiter die Sparschrauben anziehen und den Haushalt »konsolidieren« solle. Andernfalls drohte ihm ein blauer Mahnbrief aus der europäischen Zentrale. Schröder tippte sich an die Stirn und dachte: Die spinnen, die Brüsseler. Und ignorierte das Gezeter aus Belgiens Hauptstadt. Ihm war völlig klar, dass Einschnitte in den Arbeitsmarkt wie Lockerungen des Kündigungsschutzes, Lohn- und Rentenreformen, Senkung der Sozialleistungen mit gleichzeitigen Sparmaßnahmen des Staates zum Scheitern ebenjener Reformen, zum Zusammenbruch der Wirtschaft und zum Aufstand der Bürger führen würden. Also stand er vor der schwerwiegenden Entscheidung: den falschen Vorstellungen Brüssels nachgeben und Deutschland wie in den vergangenen Jahren weiter in den Keller sparen, womit das Land immer noch nicht zukunftsfähiger wäre, oder den eigenen Überzeugungen folgend die Reformen auf den Weg bringen, die Sparbemühungen in dieser Phase auszusetzen und die Abmahnung seitens der EU zu kassieren.
Wir wissen, wie er sich entschieden hat. Er hat die Reformen umgesetzt und Hans Eichel gegen dessen Überzeugung
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