Showdown
die europäischen Gremien weit entfernt von dem, was wir als demokratische Strukturen im Bürgerauftrag verstehen. Tatsächlich ist Europa gegenwärtig mehr ein bürokratisches Monster denn ein demokratisches Konstrukt.
Aber am Ende liegt es an uns Bürgern, wie wir dieses künftige Europa gestalten. Es liegt an uns, es mitzubauen und die Dinge, die wir für unsere Vorstellung eines künftigen Europas erwarten, laut, vernehmlich und, wenn es sein muss, etwas aggressiver einzufordern.
Wenn wir es nicht mitgestalten, werden andere das nach ihren Vorstellungen tun. Und wie diese Gestalten dann Europa gestalten, das gestaltet sich möglicherweise ganz unangenehm. Deshalb halte ich es für wichtig, Europa nicht rundum abzulehnen nach dem Motto: »Wird eh nicht so, wie ich das will, also bin ich ganz dagegen und halt mich raus.« Sondern mit einem trotzig optimistischen Motto: »Ein gemeinsames Europa ist sinnvoll, aber nur, wenn es richtig gemacht ist. Ich werde mich einmischen und lautstark meinen Teil dazu beitragen,
dass
es richtig gemacht wird. Und bildet euch nicht ein, ihr könntet mich loswerden!«
Also machen wir uns doch mal Gedanken, wie dieses Europa aussehen sollte. Ist es wirklich erstrebenswert, alle und alles gleichzumachen? Ist es erstrebenswert, dass die Spanier und Portugiesen genauso »produktiv« werden wie wir ach so fleißigen Deutschen? Ich denke, nein. Einer der größten Vorteile Europas ist eben gerade seine Unterschiedlichkeit, die einerseits eine große Stärke darstellt, andererseits aber auch nicht so dramatisch ausfällt, dass sie ein Miteinander völlig unmöglich machen würde. Was ist sinnvoller? Ein Wald in Form einer Monokultur nur mit Kiefern oder ein Mischwald mit vielen unterschiedlichen Baumsorten und Spezies? Natürlich Letzteres. Alle profitieren voneinander eben durch ihre Verschiedenheit. So ist es überall in der Natur. Von Wald über die Landwirtschaft bis zur Tierwelt. Die Unterschiedlichkeit hat große Vorteile gegenüber Monokulturen. Das gilt in der Wirtschaft genauso. Ein Staat, der nur von wenigen Exportgütern lebt, ist höchst anfällig. Je bunter seine Wirtschaft aufgestellt ist, desto gesünder und widerstandfähiger ist er. Warum soll das nicht auch für unsere Europäische Gemeinschaft gelten?
Wer einmal samstags auf dem Wochenmarkt im französischen Arles war, der wird fasziniert sein von dem bunten und gleichzeitig so beschaulichen Treiben. Überall werden Fische und Schalentiere auf Holztischen mit ein wenig Eis angeboten – der deutsche Wirtschaftskontrolldienst würde vermutlich sofort die Quarantäne über der Innenstadt verhängen –, Gemüse, Gewürze, Käse, Wurst in allen Varianten. Die Menschen diskutieren miteinander, probieren hier ein wenig, dort einen Bissen und genießen es, in aller Ruhe die besten Produkte auszuwählen. Danach sitzt man noch bei einem Espresso in einem der zahlreichen Straßencafés rundherum, bevor es wieder zur Familie nach Hause geht. Ist diese Lebenskultur, dieses Sich-Zeit-Nehmen für die Genüsse des Lebens, nicht etwas, das uns Deutschen und Nordeuropäern nicht auch guttäte? Es ist doch sinnvoll für Europa, dass die Franzosen sich diese Muße für die Auswahl der Lebensmittel, deren Frische und Qualität nehmen. Würde Europa ihnen das durch kurzsichtige Beschlüsse nehmen und ihnen verbieten, die Waren zum Anfassen und ohne allzu große Beschränkungen feilzubieten, würden sie auf die Barrikaden gehen.
Würden wir das auch tun? Wie sieht der Einkauf bei den meisten Familien in Deutschland an einem Samstagmorgen aus? Schnell mit dem Auto zum Supermarkt auf der grünen Wiese, den Einkaufswagen durchs Gedränge an der Kühltheke vorbeigeschoben. Vollgeladen mit industriell gefertigter Nahrung. Wann haben Sie das letzte Mal beim Einkaufen Gewürze probiert, anstatt die sterilen runden Metalldosen ungeprüft in den Einkaufskorb zu legen? Dazu fehlt die Muße. Wir haben selten Zeit, nach dem Einkauf noch einen Cappuccino im Straßencafé zu trinken. Zu Hause wartet die Steuererklärung oder zumindest der Rasen, der gemäht werden muss.
Weder das eine noch das andere ist verkehrt oder zu belächeln. Im Gegenteil. All das hat seine Berechtigung, aber ist es nicht ein großer Vorteil, all diese Dinge miteinander zu teilen und vom jeweils anderen etwas zu lernen? Wir können von den freundlichen Menschen in Arles lernen, das Leben etwas mehr zu genießen, den Lebensmitteln wieder mehr Wert beizumessen und mit einer
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