Showman
mußte sich jemand fühlen, der in eine gefährliche Situation geraten war.
War sie das?
Eigentlich nicht. In ihrer Umgebung hatte sich nichts verändert, sie kannte die Wohnung auch im Halbdämmer. Heute aber, wo sich ebenfalls nichts verändert hatte, war es trotzdem anders. Die Schatten kamen ihr bedrückender vor, tiefer, sogar gefährlich, als hielte sich in dem Schatten jemand versteckt.
Sie bewegte den Kopf. Zur Tür hin wurde es dunkler, obwohl sie offenstand. Das Licht des Spiegels blieb auf den Flur und auf die Wandnähe beschränkt.
Doris fröstelte wieder. Vorstellungen geisterten durch ihren Kopf. Sie malte sich Bilder aus, mit denen sie nicht zurechtkam. Die Wohnung hatte sich plötzlich in einen Alptraum verwandelt, in dem das Grauen ein Versteck gefunden hatte.
Tiefe Schatten. Bewegungslos, aber trotzdem schien sich darin jemand verborgen zu haben. Geister, Gespenster, Dämonen, all die Geschöpfe, die Steven früher einmal gemalt hatte.
Sie kehrten zurück. Sie wollten sich rächen, denn in seinen Geschichten hatte er sie ja auch vernichtet. Später war ihm das zuviel gewesen, da hatte er sich auf Kinder-Comics konzentriert, doch davor war er Spezialist für den übersteigerten Horror gewesen.
Es ist niemand da!, redete sich Doris ein. Ich bin allein. Es ist niemand da! Die Dunkelheit ist auch normal. Es gibt keine Schatten, die sich bewegen und mich angreifen wollen. Das bilde ich mir nur ein. Das entspringt meiner Phantasie. Was Steven gemalt hat, waren Zeichnungen! Nichts davon ist lebendig geworden, gar nichts!
Es war schon lächerlich, aber sie schaffte es nicht, sich zu beruhigen.
Auch der nächste Schluck Wein brachte in diese Richtung keinen Erfolg.
So etwas hatte sie noch nicht erlebt.
Das gab es einfach nicht. Das war unmöglich.
»Ich bin doch nicht verrückt!« flüsterte Doris und drückte sich aus dem Sessel hoch. Ein Schwindelgefühl machte ihr dabei zu schaffen.
Ihr Blick war dorthin gerichtet, wo auch das Fenster zu sehen war. Nichts hatte sich dort getan. Es war nur dunkler geworden, und die Fenster der gegenüberliegenden Häuser leuchteten heller.
Doris fühlte sich in diesem großen, düsteren Zimmer nicht mehr wohl.
Selbst das dreieckige Fenster sah jetzt anders aus. Dahinter lauerte eine andere Welt.
Rasch drehte sich Doris um. Sie ging zurück zur Tür, die eigentlich immer offenstand. Neben der Tür war die Leiste mit den drei Lichtschaltern.
Auf zwei drückte sie. Im Wohnraum fiel das Licht aus Strahlern, die in der Decke befestigt waren. Nicht hart oder grell, nein, es war ein weiches Licht.
Das sanfte Licht beruhigte sie, aber sie wollte auch den Arbeitsbereich beleuchtet haben.
Die Helligkeit war dort stärker, fast wie bei Filmaufnahmen.
Konturenscharf malten sich das Zeichenbrett, der Computer, der Drucker, das Papier, die losen Blätter und die Stifte ab.
Bei dem Begriff Stifte blieben die Gedanken der Frau plötzlich hängen.
Etwas Kaltes fuhr den Rücken hinab, wie eine Kaulquappe, die sich zuckend bewegte.
Doris stierte auf diesen Arbeitsplatz. Sie sah die Veränderung, die allerdings nichts mit den Zeichenstiften zu tun hatte, das war nur ihr letzter Gedanke gewesen. Etwas anderes war dort passiert, auf das sie sich beim besten Willen keinen Reim machen konnte.
Sie brachte es auch nicht in einen Zusammenhang mit ihrem Freund Steven, denn was dort passiert war, kannte sie nicht von ihm. Es waren die mit der Hand gefertigten Zeichnungen.
Gemalt auf große Blätter, die normalerweise glatt auf seinem Arbeitstisch lagen, nun aber zusammengeknüllte, unförmige Kugeln bildeten, die auf dem Tisch und dem Boden verteilt lagen.
Damit kam sie nicht zurecht.
Zusammengedrückt, weggeworfen, Abfall. Aber Steven produzierte keinen Abfall. Natürlich warf er ab und zu etwas fort, aber nicht so, und er ließ es vor allen Dingen nicht auf dem Boden liegen. Er war ordentlich und räumte auf.
Da stimmte etwas nicht. Das war nicht er gewesen. Für dieses Chaos mußte jemand anderer gesorgt haben.
Doris ging mit zittrigen und gleichzeitig steifen Schritten dem Arbeitsbereich entgegen. Durch ihren Kopf bewegten sich die Gedanken, ohne zu einem Resultat zu gelangen.
Ein Fremder war hier. Jemand hatte eingebrochen und für dieses Chaos gesorgt. So und nicht anders sah sie es.
Neben der ersten zusammengeknüllten Papierkugel blieb sie stehen und bückte sich.
Beinahe zögerte sie, das Ding anzufassen. Ihre Finger wollten schon zurückzucken, dann hatte sie
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